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153Mit Material arbeiten M10 „Und es ist Krieg“ Der 36-jährige Schriftsteller, Pazifist und Staatskritiker Erich Mühsam, der in Lübeck aufgewachsen ist, schreibt in sein Tagebuch: München, Montag/Dienstag, d. 3./4. August 1914 Es ist ein Uhr nachts. Der Himmel ist klar und voll Sternen […]. Und es ist Krieg. Alles Fürchterliche ist entfesselt. Seit einer Woche ist die Welt verwandelt. Seit drei Tagen rasen die Götter. Wie furchtbar sind diese Zeiten! Wie schrecklich nah ist uns allen der Tod! Immer und immer hat mich der Gedanke an Krieg beschäftigt. Ich versuchte, mir ihn auszumalen mit seinen Schrecken, ich schrieb gegen ihn, weil ich seine Ent setzlichkeit zu fassen wähnte. Jetzt ist er da. Ich sehe starke, schöne Menschen einzeln und in Trupps in Kriegsbereitschaft die Straßen durch ziehen. Ich drücke Dutzenden täglich zum Abschied die Hand, ich weiß nahe Freunde und Bekannte auf der Reise ins Feld oder bereit auszuziehen […], weiß, dass viele nicht zurückkehren werden […]. Erich Mühsam, Tagebücher (1910-1924), hrsg. von Chris Hirte, München 1994, S. 101 M9 „A Berlin!“ Über die Stimmung in Bordeaux am 31. Juli 1914 notiert der Historiker Thomas Raithel: Einige Hundert bis Tausend Jugend liche zogen gegen 21.30 Uhr vor das deutsche Konsulat, sangen die „Marseillaise“ und riefen „A bas l’Allemagne!“ und „A Berlin!“, worauf die Polizei eingriff und die Kundgebung auflöste. Im Verlauf des weiteren Abends marschierten Gruppen von Jugendlichen mit Rufen und dem Gesang der Nationalhymne durch die Straßen. Zwei Besucher wurden in einem Musikcafé verprügelt, weil sie beim Klang der „Marseillaise“ den Hut aufbehielten. Die Menge auf den Straßen aber wartete auf die Mobilmachung mit Ängstlichkeit nach einem Presse bericht, mit Ungeduld nach Darstellung des „commissaire spécial“. Thomas Raithel, Das „Wunder“ der inneren Einheit. Studien zur deutschen und französischen Öffentlichkeit bei Beginn des Ersten Weltkrieges, Bonn 1996, S. 261 1. Die verantwortlichen Politiker betonten die allgemeine Kriegsbegeisterung. Untersuche, ob M6 bis M10 diese Einschätzung bestätigen. Welches Interesse hatte die Regierung an der Verbreitung der Kriegseuphorie? 2. Sucht Presseberichte und Fotos aus eurem Wohnoder Schulort zum Kriegsausbruch. Geht der Frage nach, wie die Bevölkerung auf den Kriegsausbruch reagierte. M6 „Ausflug nach Paris.“ Foto vom 1. August 1914. 5 10 15 20 25 M8 „A Berlin.“ Foto von Anfang August 1914. Abfahrt von Soldaten vom Gare de l’Est in Paris. M7 Kriegstaumel? Der in Hannover erscheinende „Volkswille“ schreibt am 29. Juli 1914: Wer am Sonnabendabend und Sonntag die innere Stadt und die größeren Wirtschaftslokale aufgesucht hat, der konnte bereits eine Art Kriegstaumel wahrnehmen, hervorgerufen durch schnell aufeinanderfolgende Extrablätter der bürgerlichen Zeitungen. […] Durch die sich überstürzenden Meldungen, die alle nicht amtlichen Charakter tragen, werden die Leidenschaften aufgepeitscht und der klare Verstand und die reine Vernunft übertäubt. Diese Beobachtung konnte man z.B. am Sonnabendabend auf der Georgenstraße in der Nähe des Café Kröpcke machen. Denn was die Hochrufe usw. für einen Zweck haben sollten, ist nicht recht zu verstehen; allerdings handelt es sich wohl ausschließlich um jugendliche Elemente, die sich von einem Kriege kaum eine blasse Vorstellung machen können und die „weit vom Schuss“ sich befinden. Die Arbeiterschaft aber hält sich allen tumultarischen, sogenannten patriotischen, Begeisterungen fern; sie ist ein Feind des Krieges. […] Für uns lautet die Parole: Krieg dem Kriege! Reinhard Oberschelp (Hrsg.), Stahl und Steckrüben. Beiträge und Quellen zur Geschichte Niedersachsens im Ersten Weltkrieg (1914-1918), Hameln 1993, S. 70f. 5 10 15 5 10 15 20 4453_130_161 06.06.14 11:29 Seite 153 Nu r z Pr üf zw ec ke n Ei e tu m d es C .C . B uc hn er V er la gs | |
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