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95Vertiefung – Mit Material arbeiten M1 Der erste große deutsche Umweltkonflikt Am 12. Mai 1802 richtet der Bamberger Stadtrat und Unternehmer Joseph Ernst Strüpf ein Bittgesuch an den Fürst bischof. Er will unmittelbar vor der Stadt eine „modern“ mit Kohle gefeuerte Glashütte betreiben. Damit beginnt der erste große deutsche Umwelt konflikt. Er zieht sich über ein Jahr hin und endet damit, dass die inzwischen zuständige bayerische Landesregierung die Genehmigung erteilt, aber auch die Ver lagerung an einen Ort verfügt, der für die Anwohner nicht so nachteilig ist wie der ursprünglich vorgesehene. Der Bamberger Medizinprofessor Anton Dorn (17591830) legt im Sommer 1802 die Streitschrift „Das Schädliche der projektierten Glas-Hütte in der Weiden zu Bamberg“ vor; darin heißt es: Überall, wo man Glashütten antrifft, sie mögen mit Holz oder mit Steinkohlen gefeuert werden, findet man solche isoliert, von Städten und Dörfern entfernt – in waldige oder sonst öde und unfruchtbare Gegenden verwiesen. – Nur bei uns soll das Gegenteil geschehen – nur bei uns soll eine Glashütte und zwar mit hiesigen Steinkohlen gefeuert, in einer unserer schönsten Gegenden, in der Nähe der Stadt selbst rauchen? […] Die Steinkohlen verzehren durch den Prozess des Verbrennens die Lebensluft der Atmosphäre, und entwickeln dagegen andere Gasarten wie Stickgas, kohlensaures Gas, brennbares oder Wasserstoffgas, und wenn die Steinkohlen Schwefelsäure enthalten, auch schweflichsaures Gas. […] In welcher Menge der Rauch aus einer mit Steinkohlen gefeuerten Glashütte jährlich in die Atmosphäre steigen und dieselbe anfüllen müsse, lässt sich leicht einsehen, wenn man weiß, welche ungeheure Menge Steinkohlen bei einem so starken und unausgesetzten Feuer einer Glashütte jährlich erfordert werde, […] so kann man, ohne die Sache zu übertreiben, behaupten, dass eine solche Glashütte einem kleinen rauchenden Vesuv ver glichen werden könne. […] Das Erste, was einem jeden sogleich dabei in die Augen, oder vielmehr in die Nase fallen muss, ist das Unangenehme 1. Untersucht die Aussagen (M1). Wo argu mentiert der Autor als Arzt, wo als betroffener Bürger? Beurteilt die Tragfähigkeit der Argumente. 2. Erläutere die „Skizze“ (M2). Wie würden wir die Zeichnung heute nennen? Worin liegt ihr „Witz“? M2 „Pfui Deifel.“ Skizze von Heinrich Kley, um 1905.5 10 15 20 25 30 95 35 40 45 50 55 60 65 70 75 80 85 90 dieses immerwährenden stinkenden Rauchwerks für die Stadt und die Weiden. […] Dadurch wird nun einer unserer schönsten öffentlichen Spaziergänge veröden, und die Stadt un nötiger Weise um ein öffent liches Ver gnügen gebracht. – Die Besitzer der Gärten werden aus ihrem angenehmen Sommer-Aufenthalte verscheucht und verlieren das Vergnügen, welches der Genuss ihrer Gärten gewährt. Nicht so auffallend ist freilich der Nachteil für das Leben und die Gesundheit, wenn nur wenig von solcher un atembaren Luft eingeatmet wird – wenn das Einatmen in freier Luft geschieht, wo durch das beständige Zuströmen frischer Luft die Lebensluft bald wieder ersetzt und die übrigen unatembaren Gasarten unschädlicher gemacht werden – wenn endlich die Steinkohlen selbst reiner und von nachteiligen Stoffen freier, oder doch durch die Kunst davon gereinigt sind und dergleichen. Aber doch entstehen auch in diesem Falle besonders bei Ungewöhnten und Schwächlingen auf der Brust allerlei Übelbefinden von größerer oder geringerer Bedeutung, als Kopfwehe, Schwindel, Betäubung, allgemeine Ermattung, Schläfrigkeit, Zittern, Übelkeit und Erbrechen, Brustbeklemmung, Heiserkeit, ein lästig kitzelnder Husten, Blutspeien und der gleichen. Am meis ten wird dadurch schleichend der Grund zu langwährenden und gefähr lichen Brustübeln gelegt, welche sich nicht selten mit der Lungenschwindsucht endigen. […] Wie man nun unter diesen Umständen die Gesundheit der nahen Bewohner von allem Nachteile freisprechen könnte, dies begreife ich nicht. […] Sollte es wohl eine hohe Landesregierung billig und gerecht finden, dass eine ganze Gegend zugrunde gerichtet werde, damit sich ein einziger Spekulant bereichere? Sollte sie es billig und gerecht finden, dass der Unternehmer, ein Mann, der durch so viele ihm zugleich gestattete Erwerbszweige schon reich genug ist –, und eben dadurch schon so manchem seiner Mitbürger sehr wehe tut – auch noch durch einen neuen Erwerbszweig sich bereichere, um zugleich auf eine neue Weise seinen Mitbürgern zu schaden??? Zit. nach: Franz-Josef Brüggemeier/Michael Toyka-Seid (Hrsg.), Industrie-Natur. Lesebuch zur Geschichte der Umwelt im 19. Jahrhundert, Frankfurt a. M. 1995, S. 29ff. 4453_072_097 06.06.14 11:26 Seite 95 Nu r z u Pr üf zw ec ke n Ei ge nt um d s C .C . B uc hn er V er la gs | |
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