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181Europa verlässt Deutschland: die Abwanderung der „Displaced Persons“ Erholung kam sie in das Ostseebad Zoppot. An eine Rückkehr war nicht zu denken, weil Wilna in der Zwischenzeit Teil der UdSSR geworden war. Im polnischen Lodz traf sie im Herbst 1945 eine Cousine und blieb hier, um sich auf die Migration nach Palästina im Rahmen einer Jugendgruppe vorzubereiten. Ein Jahr später reiste die gesamte Gruppe über Prag und München nach Fürstenbach in Bayern, um hier eine landwirtschaftliche Ausbildung zu durchlaufen. Die nächste Station bildete im Herbst 1946 das DP-Lager Leipheim bei Ulm. Zum Jahreswechsel 1946/47 überquerte die Gruppe illegal die italienische Grenze, erreichte das DP-Lager Grugliacco in der Nähe Turins, wo sie ihren späteren Mann kennenlernte, den sie in Turin heiratete. Ein vor dem Zweiten Weltkrieg nach Buenos Aires ausgewanderter Onkel bezahlte eine Schiffspassage nach Argentinien und kümmerte sich um die Visen. 1956 zog das Ehepaar mit den beiden Söhnen nach New York. Samuel Bak wurde 1933 in Wilna geboren und war nach der deutschen Besetzung in einem Arbeitslager in der Stadt interniert worden. Nach dessen Aufl ösung versteckten er und andere Familienangehörige sich 1944 in einem Kloster bei Wilna. Mithilfe überlebender Wilnaer Juden kamen seine Mutter und er nach Lodz, wo Samuel Bak nach vier Jahren erstmals wieder eine Schule besuchte. Hier erfuhr er auch vom Tod des Vaters, der im Ghetto Wilna ermordet worden war. Mithilfe einer zionistischen Organisation kamen Mutter und Sohn über Stettin in das Berliner Aufnahmelager Schlachtensee und von hier aus in das DP-Lager Landsberg in Bayern. Hier heiratete die Mutter einen litauischen Juden, der das KZ Dachau überlebt hatte. Die Familie zog von Landsberg aus 1948 nach Israel. Samuel Bak lebt heute in den USA in der Nähe von Boston. Zusammengestellt nach: Anna Lipphardt, Vilne. Die Juden aus Vilnius nach dem Holocaust. Eine transnationale Beziehungsgeschichte, Paderborn 2010, S. 147 151 1. Analysieren Sie die beiden Lebenswege, indem Sie sie mithilfe einer Karte räumlich erschließen. 2. Arbeiten Sie heraus, wo sich die Wege von Lily Mazur Margules und Samuel Bak überschneiden, und erläutern Sie, warum es hier zu diesen Überschneidungen kommt. 3. Erörtern Sie anhand der beiden Beispiele die Problematik der „Displaced Persons“ in den Nachkriegsjahren. M3 Zwangsarbeit oder Zusammenarbeit? 1943 wird Wladimir Justschenko als fünfjähriges Kind mit seinen Eltern aus dem Gebiet von Tschernigow in der Ukraine nach Wiesbaden verschleppt. Dort lebt er im Reichsbahnlager „Rudolf“. Im Jahr 2002 gibt er Zeugnis von der Rückkehr der Familie in ihre „Heimat“: Ein sowjetischer Major hielt eine pathetische Rede: „Die Heimat wartet auf Euch ...!“ Damit war das schöne freie Leben [in der amerikanischen Besatzungszone] zu Ende. Das war eine sehr schöne Zeit gewesen: Gesang, gutes Essen, Freiheit. […] Wir wurden also in die Heimat zurückgeschickt. Sobald wir die Grenze überschritten hatten zwischen Polen und der Ukraine, merkten wir sofort, dass die schönen Worte des Majors nichts mit der Realität zu tun hatten. Zuerst kehrten wir in das Dorf zurück, da die Großmutter es unbedingt wiedersehen wollte. Da sahen wir, dass es vollständig verwüstet war; überall wuchs Gras, sonst war nichts erhalten geblieben. […] 1947 wurde mein Vater vor Gericht gestellt. Wer in Deutschland gewesen war, wurde als Feind betrachtet. Er wurde zu zehn Jahren Haft verurteilt, er wusste jedoch nicht wofür. Die Gerichtsverhandlung dauerte zwei Tage. Dann wurde der Vater nach Sibirien verschickt, nach Mariinsk. […] Nach Stalins Tod gab es eine Amnestie, und mein Vater wurde freigelassen. Als man seinen Fall gerichtlich überprüfte, stellte sich heraus, dass er unschuldig war. Er wurde freigesprochen. Hedwig Brüchert, a. a. O., S. 280 f. 1. Geben Sie Wladimir Justschenkos Erlebnisse nach seiner Rückkehr in eigenen Worten wieder. 2. Erklären Sie, warum „Displaced Persons“ wie Justschenkos Vater in ihren Herkunftsländern häufi g verfolgt wurden. 3. Beurteilen Sie, ob in Fällen wie dem der Familie Justschenko von einer „Heimkehr“ gesprochen werden kann. 5 10 15 20 10 15 20 25 30 35 32015_1_1_2015_Kap2_138-203.indd 181 01.04.15 10:12 Nu r z u Pr üf zw ec ke n Ei ge nt um d es C .C . B uc hn er V er la gs | |
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