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105Eine Fallstudie durchführen M4 Tragen globale Unternehmen Verantwortung? Karl Homann, Professor für Philosophie und Ökonomie in München, zur ethischen Basis unternehmerischer Handlungen: SZ: Herr Professor Homann, verhält sich Nokia unanständig? K. H.: Das hängt davon ab, wie man Anstand definiert. Wir leben in einer Wirtschaft mit globalem Wettbewerb und müssen mit einem forcierten Strukturwandel rechnen. Dazu gehören auch Werksverlagerungen ins Ausland, die deswegen nicht unanständig sind. [...] SZ: Sind Werksverlagerungen wie bei Nokia Ausgeburten eines Turbokapitalismus? K. H.: Das sind populistische Schlagworte. Aber wenn Sie so wollen: Sie sind Ausgeburten eines stinknormalen Wettbewerbs, der die Bedingung unseres Wohlstands ist. Die Mehrheit profitiert, indem sie möglichst billig einkaufen kann. [...] SZ: Auch wenn das zulasten anderer geht? K. H.: Wettbewerb geht immer zulasten anderer. Er bringt aber auf lange Sicht uns allen die größten Vorteile. Letztlich ist Wettbewerb solidarischer als Teilen. – SZ: Wie bitte? K. H.: Teilen gilt als eine der solidarischsten Verhaltensweisen überhaupt. Wettbewerb hat das eigene Wohlergehen im Blick. Seit wir auf dem Telefonmarkt Wettbewerb zulassen, ist Telefonieren so billig wie nie zuvor. Jetzt erst ahnen wir, wie viel Milliarden Euro uns der frühere Monopolist, die gelbe Post, aus der Tasche gezogen hat. Monopole sind brutal, sie beuten die Kunden aus. [...] Solidarität darf nicht bedeuten, dass wir den Wettbewerb bändigen wollen, als sei er ein wildes Tier. Um der Solidarität willen sollten wir den Wettbewerb forcieren, wie auf dem Telefonmarkt. SZ: Ist unternehmerisches Handeln nicht auch daran zu messen, welche kurzfristigen Folgen es für die Arbeitsplätze hat? K. H.: Grundsätzlich nein. Die Arbeitsplätze stehen immer zur Disposition. Unternehmerisches Handeln ist daran zu messen, ob und wie weit es der Allgemeinheit und nicht den Arbeitsplatzbesitzern dient. SZ: Unternehmer haben keine soziale Verantwortung gegenüber ihren Beschäftigten? K. H.: Doch, natürlich haben sie die. Unternehmer haben eine Fürsorgepflicht und für menschengerechte Arbeitsplätze zu sorgen. Wenn Unternehmer keine Verpflichtung gegenüber ihren Mitarbeitern zeigen, dann haben sie eine Belegschaft, bei der die innere Kündigung an der Tagesordnung ist. Das wirkt sich auch wirtschaftlich aus. Wertschöpfung erfolgt durch Wertschätzung. Deshalb wird kein Unternehmer leichtfertig Mitarbeiter entlassen. Das wäre nicht rational. SZ: Der Konzern handelt sozial, indem er Menschen entlässt? K. H.: Es kann in einer Marktwirtschaft keinen Bestandsschutz geben. Es gibt für Nokia aus ethischer Sicht auch keinen Grund, die deutschen Arbeitnehmer gegenüber den rumänischen zu bevorzugen. Allerdings müssen die Härten für die von Arbeitslosigkeit Betroffenen abgefedert werden. Wir müssen den Menschen die Chance geben, wieder in den Arbeitsprozess zu kommen. Dazu müssen wir die Arbeitnehmer besser qualifizieren und vor allem die Jugend gut ausbilden. Da geschieht leider zu wenig. [...] SZ: Machen internationale Ethikstandards die globale Wirtschaftswelt menschlicher oder ineffizienter? K. H.: Sie machen sie menschlicher und damit effizienter. Wir dürfen nicht von diesem Gegensatz ausgehen. Wenn das Wirtschaftsleben menschlicher wird, dann zahlt sich das langfristig aus. Kinderarbeit ist ein gutes Beispiel. Langfristig steigt der Wohlstand eines Landes, wenn es seine Kinder gut ausbildet. Die Frage ist jedoch, ob wir das gesetzlich regeln können. Wenn das Einkommen der Eltern so gering ist, dass die Kinder zum Einkommen beitragen müssen, führt das Verbot der Kinderarbeit z. B. die Mädchen in die Prostitution. SZ: Was kann man dagegen tun? K. H.: Das Einkommen der Eltern steigern. [...] Wenn der Wohlstand steigt, schicken die Menschen ihre Kinder nicht zur Arbeit, sondern in die Schule. Diese Entwicklung kennen wir aus unserer eigenen Geschichte ja nun auch. Interview: Sibylle Haas, Süddeutsche Zeitung, 29. 1. 2008 (leicht verändert) Durchführung der Fallstudie: 1. Problemdarstellung Analysieren Sie die Standortentscheidungen und arbeiten Sie heraus, welche Interessen davon betroffen sind. 2. Handlungsmöglichkeiten/Entscheidungsalternativen Fertigen Sie eine Mindmap an. Stellen Sie darin die möglichen Auswirkungen der Schließung der Nokia-Werke den denkbaren Konsequenzen eines Standorterhalts gegenüber. Zeigen Sie Möglichkeiten von Bürgern/Verbrauchern oder Politikern auf, gegen die Standortschließungen vorzugehen. 3. Problemlösungen Ermitteln Sie, welche Effekte die Standortschließungen tatsächlich zur Folge hatten. 4. Generalisierung Erläutern Sie die Position Homanns zu den Standortentscheidungen Nokias. Bewerten Sie seine Aussagen. Erläutern Sie, welche Auffassung von Wirtschaft der Aussage „Letztlich ist Wettbewerb solidarischer als Teilen“ zugrunde liegt. Formulieren Sie andere Schlagworte, mit denen sich der Fall Nokia entweder negativ oder positiv kennzeichnen lässt. Finden Sie weitere Fallbeispiele für diese Schlagworte. 5. Kritik Prüfen Sie, was an den Werksschließungen verallgemeinerbar ist, was nicht. Beziehen Sie das Verhalten des Unternehmens, der Branche, der Verbraucher, der Medien und der Politik ein. 5 10 15 20 25 30 35 40 45 50 55 60 65 N u r zu P rü fz w e c k e n E ig e n tu m e s C .C . B u c h n e r V rl a g s | |
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