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Wirtschaft des Kolonialismus 87 1 zum Merkantilismus siehe den folgenden Abschnitt, S. 88 93 nisse in ihrem Erdteile beschränken dürfen, sondern auch die Wandlungen bei den entferntesten Völkern beobachten müssen. Der Zusammenhang des Wirtschaftslebens der einzelnen Völker ist eben so weit vorgeschritten, dass alle großen Entscheidungen, mögen sie im fernen Westen Amerikas oder im Osten Asiens, auf rein ökonomischem oder auf politischem Gebiete getroffen werden, jede Nation in Mitleidenschaft ziehen müssen. Da ein Auslösen aus diesem Verbande ohne die äußerste Gefährdung der eigenen Existenz nicht möglich ist, so muss alles daran gesetzt werden, in diesem neu sich bildenden Organismus die eigene Stellung aufs beste auszunützen. Dazu wird jedes Volk [...] sein ganzes Wirtschaftsleben fördern müssen, aber nicht abgekehrt von der Weltwirtschaft, nicht im Gegensatz zu den Geboten derselben, sondern gerade im Hinblick auf den Weltmarkt und seine Forderungen [...]. Vielmehr wird jedes Jahrzehnt neue Fortschritte bringen auf dem Wege der Zusammenfassung aller Völker zu einer großen, höheren Einheit, und die national-politische Bedeutung eines jedes Volkes wird stets davon abhängen, welchen Anteil es an der Erhöhung der Kultur der Menschheit, an der gesamten Weltwirtschaft nimmt. Illustrierte Geschichte des Neunzehnten Jahrhunderts, Stuttgart 1890, S. 567 f. 1. Bewerten Sie den hier hergestellten Zusammenhang zwischen Weltwirtschaft und Weltpolitik. 2. Untersuchen Sie die Argumente für eine Verbesserung der Stellung eines Volkes. Erörtern Sie mögliche Konsequenzen für die Politik der Industriestaaten einerseits und die „entferntesten Völker“ andererseits. M3 Britische Kolonialwirtschaft in Indien Der Freiburger Historiker Wolfgang Reinhard beschreibt die wirtschaftliche Behandlung Indiens durch Großbritannien: Finanziert wurde Britisch-Indien am Anfang zur Hälfte, am Schluss noch zu einem Drittel aus der Besteuerung des Bodenertrags. Bodenertrag hieß vor allem Getreide und Handelspflanzen. Die vor-englische Besteuerung hatte ein Drittel bis die Hälfte des Ertrags weggesteuert, aber das System hatte Sicherheitsventile, die von den Briten geschlossen wurden: Der Bauer war Besitzer, nicht Eigentümer, konnte also wegen Schulden nicht gepfändet werden. Da Land noch nicht knapp war, konnte er auf Neuland ausweichen. Außerdem reduzierte sich die Besteuerung automatisch bei Missernten. Die Briten schrieben die Steuer fest. Da der Bauer als Eigentümer bei Missernten nun unbeschränkt haftete und nicht mehr das schuldnerfreundliche Hindurecht, sondern das gläubigerfreundliche westliche Recht Anwendung fand, war Verarmung und die Entstehung einer besitzlosen Landarbeiterschicht die Folge. Es hat nach neueren Forschungen aber den Anschein, als seien zumindest die größeren Bauern recht gut mit dem Agrarkapitalismus zurechtgekommen. Nach traditioneller kolonialkritischer Auffassung (Marx, Gandhi) hat Großbritannien im Interesse seiner Baumwollindustrie das indische Textilgewerbe ruiniert und Indien vom Exporteur zum Importeur von Baumwollfertigwaren und zum Exporteur von Rohbaumwolle „umgedreht“. Zollpolitik förderte diesen Wandel. Allerdings konnten selbst die riesigen englischen Importe die indische Nachfrage nicht befriedigen, sodass das traditionelle Webergewerbe noch eine Überlebenschance hatte, bis es von einer eigenen indischen Baumwollindustrie endgültig ruiniert wurde. Indiens Außenhandel wies mit Rohstoffexporten und Fertigwarenimporten ein halbkoloniales Profil, aber eine insgesamt aktive Handelsbilanz auf, genauer eine passive mit England, eine aktive mit anderen Partnern. Dadurch gewann Großbritannien die Möglichkeit, seine eigene passive Handelsbilanz gegenüber Drittländern mit Indiens Hilfe auszugleichen, wie es bereits von der E. I. C. für ihren Chinahandel praktiziert wurde. Dazu kamen unsichtbare Gewinne aus dem Seefrachtund Versicherungsgeschäft, die fest in britischer Hand blieben. Die Militärlasten schlugen im indischen Budget mit 40 65 % zu Buche, sodass sich Indien für Großbritannien auch durch den Unterhalt der Hälfte seiner gesamten Landstreitkräfte ohne Kosten für das Mutterland lohnte. Außerdem nutzten die Briten die Kontrolle der indischen Währung zu ihrem Vorteil. Insgesamt wird man durchaus von einem „Drain of Wealth“ nach Großbritannien sprechen dürfen, auch wenn sich erstens die alten Bilanzrechnungen mit ihrer Fixierung auf Edelmetall als allzu naiv und „merkantilistisch“ erwiesen haben und zweitens von einer konsequenten De-Industrialisierung keineswegs die Rede sein kann. Indien wurde wirtschaftlich entwickelt, aber zum Vorteil Großbritanniens, was allerdings nicht in jedem Fall automatisch zum Nachteil Indiens ausschlagen musste – Ökonomie ist kein Nullsummenspiel, wie die „Merkantilisten“ geglaubt hatten.1 Nach: Wolfgang Reinhard, Kleine Geschichte des Kolonialismus, Stuttgart 1996, S. 193 197 (stark gekürzt) 1. Stellen Sie in einer Tabelle zusammen, wie England die Kolonialherrschaft über Indien ökonomisch ausnutzte. 2. Erörtern Sie den möglichen Nutzen, den Indien aus der kolonialen Herrschaft ziehen konnte. 25 30 35 40 45 5 10 15 20 25 30 35 40 45 50 N u r zu P rü fz w e c k e n E ig e n t e s C .C . B c h n e r V e rl a g s | |
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