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79 2 Der trostlose Zustand Als Bevollmächtigter des „Allgemeinen Deutschen Handelsund Gewerbevereins“ legt Friedrich List der Bundesversammlung 1819 eine Bittschrift vor: Achtunddreißig Zollund Mautlinien* in Deutschland lähmen den Verkehr im Innern und bringen ungefähr dieselbe Wirkung hervor, wie wenn jedes Glied des menschlichen Körpers unterbunden wird, damit das Blut ja nicht in ein anderes überfließe. Um von Hamburg nach Österreich, von Berlin in die Schweiz zu handeln, hat man zehn Staaten zu durchschneiden, zehn Zollund Mautordnungen zu studieren, zehn Mal Durchgangszoll zu bezahlen. Wer aber das Unglück hat, auf einer Grenze zu wohnen, wo drei oder vier Staaten zusammenstoßen, der verlebt sein ganzes Leben mitten unter feindlich gesinnten Zöllnern und Mautnern, der hat kein Vaterland […]. Die alleruntertänigst Unterzeichneten […] wagen es demnach, einer hohen Bundes versammlung die alleruntertänigste Bitte vorzutragen: 1. dass die Zölle und Mauten im Innern Deutschlands aufgehoben, dagegen aber 2. ein auf dem Grundsatz der Retorsion** beruhendes Zollsystem gegen fremde Nationen aufgestellt werden möchte, bis auch sie den Grundsatz der europäischen Handelsfreiheit anerkennen. Manfred Görtemaker, Deutschland im 19. Jahrhundert. Entwicklungslinien, Bonn 41994, S. 142 * Maut: Gebühr für Straßenund Brückenbenutzung ** Retorsion: ein fremder Zoll soll durch einen eigenen Zoll aufgehoben bzw. abgewehrt werden 5 10 15 1. Inwiefern hatte die wirtschaftliche Einigung eine politische Bedeutung (M 2 und M 3)? 2. Welche Befürchtungen stehen hinter Metternichs Äußerungen (M 3)? 3. War List ein Vorkämpfer für die deutsche Einigung (M 2)? 5 P R E U S S E N Ö S T E R R E I C H R U S S L A N D SCHWEIZ FR AN KBE LG IE N NIE DE RL AN DE Schleswig Lauen burg Hannover Hannover Bremen Oldenburg Nassau He s s en Frankfurt Ku rh es se n Thüring. Staaten Anhalt Bayern Köln München Wien Leipzig Dresden Breslau Frankfurt Berlin Danzig Königsberg Pfalz (bayr.) Baden W ürttem berg Lothringen El sa ss Sach sen Donau Elbe Elbe Oder Weichsel Rhein Deutscher Zollverein 1834 Anschlüsse bis 1854 Anschlüsse seit 1867 Zusammenschluss zum Deutschen Reich 1871 N o r d s e e O s t s e e LUXEMBURG Hamburg Holstein Mecklen burg Lübeck RE IC H 0 200 km100 DÄNEMARK 3 Der Zollverein aus der Sicht Österreichs Noch bevor der Deutsche Zollverein in Kraft trat, schreibt der österreichische Kanzler Fürst Klemens von Metternich im Juni 1833 seinem Kaiser: Die Grundidee [des Zollvereins] […] besteht in vollkommener gegenseitiger Freiheit des Handels zwischen den Vereinsstaaten, einem übereinstimmenden Zollsys tem nach gleichen Tarifsätzen; endlich in Gemein schaftlichkeit der Schutzmaßregeln für die einheimische Produktion der im Vereine begriffenen Länder gegen die Konkurrenz der dem Vereine fremden Gebiete. Alles dieses aber unter preußischem Schutze und preußischer Präponderanz*. Manfred Görtemaker, Deutschland im 19. Jahrhundert, a.a.O., S. 147 * Präponderanz: Übergewicht 1 Friedrich List. Pastell nach einer Lithographie von Josef Kriehuber, um 1845. Friedrich List wurde 1789 in Reutlingen geboren. 1822 verurteilte man den Wirtschaftswissenschaftler, Politiker und Journalisten in Württemberg wegen Aufreizung gegen die Staatseinrichtungen zu Festungshaft. 1825 wurde er gegen das Versprechen freigelassen, unverzüglich auszuwandern. List ging in die USA. Fünf Jahre später kehrte er zurück und begann, sich für die Einheit Deutschlands, für den Deutschen Zollverein und den Bau von Eisenbahnen einzusetzen. Sein rastloses Leben beendete er 1846 selbst. 4 Der Deutsche Zollverein. 4743_065_080_q7.qxd 12.08.2016 8:01 Uhr Seite 79 Nu r z u Pr üf zw ec ke n Ei ge nt um d es C .C .B uc ne r V rla gs | |
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