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311Die deutsche Nachkriegsgeschichte im Spiegel der Geschichtskultur werden. Im Zusammenhang mit der Debatte um „Erbe und Tradition“, die seit den späten 1970er-Jahren geführt wurde, um über das eng gefasste Klassenkampf-Paradigma hinaus zu einer sozialistischen deutschen Nationalgeschichte zu gelangen, schrieb man schließlich auch Luther eine größere Bedeutung zu. Zum geschichtspolitischen Erbe gehörten ebenso die preußischen Reformer und die Befreiungskriege verbündeter österreichischer, preußischer, russischer und schwedischer Truppen gegen Napoleon von 1813/14, mit deren Hilfe auch die Nationale Volksarmee (NVA) in der deutschen Tradition verortet wurde. So war beispielsweise die höchste militärische Auszeichnung der DDR der Scharnhorst-Orden*, und aus der „deutsch-russischen Waffenbrüderschaft“ gegen Napoleon konnte sogar das „Bündnis der NVA mit der Roten Armee“ mit Tradition aufgeladen werden. Mit Marx und Engels, „den beiden Stammvätern der wissenschaftlichen Weltanschauung der Arbeiterklasse“, mit der organisierten deutschen Arbeiterbewegung in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, dem Zusammenschluss von ADAV und SDAP zur SAP**, dem Fall des Sozialistengesetzes 1890 und schließlich den sich ständig steigernden Wahlsiegen der SPD beanspruchte die DDR zudem eine Traditionslinie, welche in die Welt ausgriff. Weder die sowjetische Schutzmacht noch irgendein anderes Land hatte Gewichtigeres in der Ahnengalerie zu bieten. Wie oft bei der Pfl ege von Mythen, sind es auch traumatisierende Niederlagen, die identitätsstiftend wirken. In der DDRGeschichtskultur waren das die Niederschlagung des linkssozialistischen Aufstandes („Spartakus-Aufstand“) im Januar 1919 und die Auftragsmorde an Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht. o Blick auf das Monumentalgemälde „Frühbürger liche Revolution in Deutschland“ von Werner Tübke im Panorama Museum in Bad Frankenhausen. Foto von 2009. i Das Gebäude des Museums von außen. Foto von 2008. * Gerhard Johann David von Scharnhorst (1755 1813), preußischer Offi zier und Reformer, trug mit der preußischen Heeresreform und der allgemeinen Wehrpfl icht entscheidend zum Sieg in den antinapoleonischen Befreiungskriegen bei. ** ADAV = Allgemeiner Deutscher Arbeiterverein; SDAP = Sozialdemokratische Arbeiterpartei; SAP = Sozialistische Arbeiterpartei, Vorläuferorganisation der 1890 gegründeten Sozialdemo kratischen Partei Deutschlands (SPD) Befreiungskriege: Preußische Offi ziere entschlossen sich angesichts des bevorstehenden napoleonischen Angriffs auf Russland, aus der preußischen Armee, welche die französische zu unterstützen hatte, in russische Dienste überzutreten. Ebenso entschied General Yorck, 1812 sein preußisches Hilfskorps aus der Grande Armee herauszulösen. Beides konnte die DDR-Geschichtskultur als Vorläufer der Gründung des „Nationalkomitees Freies Deutschland“ (NKFD) von 1943 und als Tradition der Waffenbrüderschaft von NVA und Sowjetarmee darstellen. i Gedenkblatt für Karl Liebknecht. Holzschnitt von Käthe Kollwitz, 1920. Nu r z u Pr üf zw ec ke n Ei ge nt um d e C .C .B uc hn er V er la gs | |
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