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287Neuordnungen der Welt und Deutschlands Wiedervereinigung Die deutsch-deutsche Grenze wird geöffnet Die letzte Möglichkeit, die eigene Macht zu retten, sah die SED-Spitze in der Öffnung der Grenzen. Am 9. November teilte das Politbüro-Mitglied Günther Schabowski den Beschluss des DDR-Ministerrates der Presse mit, dass ab dem 10. November „Privatreisen nach dem Ausland […] ohne Vorliegen von Voraussetzungen“ beantragt werden können. Das Westfernsehen machte daraus die Nachricht von der Öffnung der Grenzen. Von Ostund West-Berlin zogen daraufhin Tausende an die Mauer. Gegen 23:14 Uhr wurde aufgrund des Ansturms ein erster Übergang geöffnet. Die Opposition formiert sich Während die Ausreisewelle zunahm, gab die Bürgerrechtsbewegung das Motto „Wir bleiben hier!“ aus und forderte demokratische Reformen. Sie folgte darin den Beispielen aus Prag, Warschau und Budapest. Gleichzeitig wurden – trotz Ver boten – ab Juli/August 1989 politische Vereini gungen und Parteien wie Demokratie Jetzt, Demokratischer Aufbruch und die Sozialdemokratische Partei gegründet. Bei allen program matischen Unterschieden forderten sie gemeinsam freie Wahlen und Rechtsstaatlichkeit für die DDR. „Wer zu spät kom mt …“ Am Montag, den 4. Sep tember 1989, demonstrierten etwa 1 200 Menschen nach dem Friedensgebet in der Leipziger Nikolaikirche für Reisefreiheit und Demokratie. Damit setzten die landesweiten Montagsdemonstrationen ein. Wäh rend die Machthaber den 40. Jahrestag der DDR am 6. und 7. Oktober vor den Augen der Welt und mit dem sowje tischen Staatschef Gorbatschow in Ost-Berlin mit Pomp und Militär paraden feierten, spitzte sich die Lage zu. Mit einem Riesenaufgebot bewaffneter Sicherheitskräfte ging die Staatsmacht gegen die Demonstranten vor. Die angeblich von Gorbatschow geäußerte Warnung „Wer zu spät kom mt, den bestraft das Leben“ überhörte Honecker. „Wir sind das Volk – keine Gewalt!“ Eine Wende brachte die Montags demonstra tion vom 9. Oktober in Leipzig. Obwohl Pläne der Stasi für die Inhaftierung aller Oppositionellen bestanden und die bewaffneten Kräfte in höchste Alarmbereitschaft versetzt worden waren, blieb der Befehl zur Zerschlagung der Demonstration aus. Der Ruf „Wir sind das Volk – keine Gewalt!“ und eine unter drama tischen Umständen von dem Kapellmeister des Gewand haus orches ters, Kurt Masur, im letzten Augen blick mit Sekretären der SED-Bezirksleitung getroffene Verabredung verhinderten einen blutigen Zusammenstoß. Die Demonstration wirkte wie ein Dammbruch. In den nächsten Wochen gingen die Menschen von Rostock bis Karl-Marx-Stadt (seit 1990 wieder Chemnitz) an jedem Montag auf die Straße. Sie protestierten gegen den Führungsanspruch der SED und forderten Reiseund Meinungsfreiheit sowie die Zulassung neuer Parteien. Die SED-Führung reagierte nur zögernd. Am 18. Oktober musste der 77-jährige Staatsratsvorsitzende Honecker seine Ämter abgeben. Nachfolger wurde der 52-jährige Egon Krenz, der seit 1984 sein Stellvertreter war. Der Ministerrat trat am 7., das Politbüro am 8. November geschlossen zurück. Damit reagierte die SED auf die Demonstrationswelle, die ihren Höhepunkt in der Großdemonstration vom 4. November auf dem Alexanderplatz in Ost-Berlin gefunden hatte. 4 Montags demonstration. Foto aus Leipzig vom 9. Oktober 1989. Etwa 70 000 Menschen zogen friedlich durch die Innenstadt. Sie mussten die Zerschlagung ihres Protestes befürchten, da die Parteiführung noch im Juni Verständnis für die gewaltsame „Chinesische Lösung“ (siehe Seite 268 f.) gezeigt hatte. ˘ Internettipp: Zum Mauerfall siehe Mediencode 31013-79 5 Menschen feiern auf der Berliner Mauer. Foto vom 9./10. November 1989. ˘ Geschichte In Clips: Zur Öffnung der Mauer siehe Clip-Code 31013-16 31013_1_1_2015_272_319_kap6.indd 287 26.03.15 15:34 Nu r z u Pr üf zw ec ke n Ei ge nt um de s C .C . B uc hn er V rla gs | |
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