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1.4 Räume als Kulisse der Handlung wahrnehmen Buddenbrooks (1901) Auszug 4 Vier Jahre nach ihrer Heirat ist Tonys Ehe am Ende. Der vermeintlich wohlhabende Grünlich erweist sich als zahlungsunfähiger Betrüger. Das wird in einer Unterredung zwischen dem Konsul, seinem Schwiegersohn und dem Bankier Kesselmeyer im Wohnzimmer der Grünlichs deutlich. In der Mitte des kleinen Zimmers, dessen Tapeten geblümt waren, stand ein ziemlich umfangreicher, viereckiger, grünbezogener Tisch. Der Regen draußen hatte zugenommen. Es war so fi nster, dass Herr Grünlich die drei Kerzen, die in silbernen Leuchtern auf der Tafel standen, alsbald entzündete. Bläuliche, mit Firmenstempeln versehene Geschät sbriefe und abgegrif ene, hie und da eingerissene, mit Daten und Namenszügen bedeckte Papiere lagen auf dem grünen Tuch. Außerdem bemerkte man ein dickleibiges Hauptbuch und ein von wohlgeschärt en Gänsefedern und Bleistit en starrendes Tintenund Streusandfass aus Metall. Herr Grünlich machte die Honneurs mit den stillen, taktvollen und zurückhaltenden Mienen und Bewegungen, mit denen man die Gäste bei einem Begräbnis komplimentiert. „Lieber Vater, bitte nehmen Sie den Armstuhl“, sagte er sant . „Herr Kesselmeyer, haben Sie die Freundlichkeit, sich hierzu setzen? …“ Endlich war die Ordnung hergestellt. Der Bankier saß dem Hausherrn gegenüber, während der Konsul im Armsessel an der Breitseite des Tisches präsidierte. Die Rückenlehne seines Stuhles berührte die Korridortür. Herr Kesselmeyer bückte sich, ließ die Unterlippe hängen, entwirrte auf seiner Weste einen Kneifer und hieb ihn sich auf die Nase, indem er dieselbe krauste und den Mund aufriss. Dann kraulte er sich mit einem nervös machenden Geräusch den geschorenen Backenbart, stemmte die Hände auf die Knie, nickte den Papieren zu und bemerkte kurz und fröhlich: „Ahah! Da haben wir die ganze Bescherung!“ „Sie erlauben nun, dass ich mir einen genaueren Einblick in die Lage der Dinge verschaf e“, sagte der Konsul und grif nach dem Hauptbuch. Plötzlich jedoch streckte Herr Grünlich schirmend beide Hände über den Tisch hin, lange, von hohen blauen Adern durchzogene Hände, die ersichtlich zitterten, und rief mit bewegter Stimme: „Einen Augenblick! Noch einen Augenblick, Vater! Oh, lassen Sie mich noch eine einleitende Bemerkung vorausschicken! … Ja, Sie werden Einblick gewinnen, Ihrem Blick wird nichts entgehen … Aber glauben Sie mir: Sie werden Einblick in die Lage eines Unglücklichen gewinnen, nicht eines Schuldigen! Sehen Sie in mir einen Mann, Vater, der sich ohn‘ Ermatten gegen das Schicksal gewehrt hat, der aber von ihm zu Boden geschlagen ist! In diesem Sinne …“ „Ich werde sehen, mein Freund, ich werde sehen!“, sagte der Konsul mit sichtlicher Ungeduld; und Herr Grünlich zog seine Hände zurück, um dem Geschicke seinen Lauf zu lassen. 5 10 15 20 25 30 95Literarische Figuren charakterisieren N u r zu P rü fz w e c k e n E g e n tu m d e C .C . B u c h n e r V e rl a g s | |
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