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193Die Französische Revolution beginnt M1 „Qu’est-ce que le tiers-état?“ Der katholische Geistliche Emmanuel Joseph Sieyès, genannt Abbé Sieyès, verfasst Ende 1788 die Schrift „Qu’est-ce que le tiers-état?“. Sie wird kurze Zeit später anonym veröffentlicht, erreicht eine Aufl age von über 30 000 Exemplaren und wird damit zur maßgeblichen „Kampfschrift“ des Dritten Standes: Der Plan dieser Schrift ist ganz einfach. Wir haben uns drei Fragen vorzulegen. 1. Was ist der Dritte Stand? ALLES. 2. Was ist er bis jetzt in der politischen Ordnung gewesen? NICHTS. 3. Was verlangt er? ETWAS ZU SEIN. […] Also, was ist der Dritte Stand? Alles, aber ein gefesseltes und unterdrücktes Alles. Was wäre er ohne den privilegierten Stand? Alles, aber ein freies und blühendes Alles. Nichts kann ohne ihn gehen; alles ginge unendlich besser ohne die anderen. […] Was ist eine Nation? Eine Körperschaft von Gesellschaftern, die unter einem gemeinschaftlichen Gesetz leben und durch dieselbe gesetzgebende Versammlung repräsentiert werden usw. […] Der Dritte Stand umfasst also alles, was zur Nation gehört; und alles, was nicht der Dritte Stand ist, kann sich nicht als Bestandteil der Nation ansehen. Was also ist der Dritte Stand? ALLES. […] Unter dem Dritten Stand muss man die Gesamtheit der Bürger verstehen, die dem Stand der gewöhn lichen Leute (l’ordre commun) angehören. Alles, was durch das Gesetz privilegiert ist, einerlei auf welche Weise, tritt aus der gemeinschaftlichen Ordnung heraus, macht eine Ausnahme für das gemein schaftliche Gesetz und gehört folglich nicht zum Dritten Stand. […] Der Dritte Stand hat bis zur Stunde keine wahren Vertreter auf den Generalständen gehabt. Er hat also keinerlei politische Rechte. […] Was verlangt der Dritte Stand? Etwas zu werden. […] Man kann die wirklichen Forderungen des Dritten Standes nur nach den authentischen Beschwerden beurteilen, welche die großen Stadtgemeinden (municipalités) des Königreichs an die Regierung gerichtet haben. Was sieht man da? Dass das Volk etwas sein will, und zwar nur das Wenig s te, was es sein kann. […] Es will haben 1. echte Vertreter auf den Generalständen, das heißt Abgeordnete, die aus seinem Stand kommen und die fähig sind, die Interpreten seines Willens und die Verteidiger seiner Interessen zu sein. Was nützt es ihm, an den Generalständen teilzunehmen, wenn das dem seinen entgegengesetzte Interesse dort dominiert? […] Es verlangt weiter 2. eine Zahl von Vertretern, die der jenigen ebenbürtig ist, welche die beiden anderen Stän de zusammen besitzen. Diese Gleichheit der Ver tretung wäre indessen völlig illusorisch, wenn jede Kammer eine eigene Stimme besäße. Der Dritte Stand verlangt deshalb 3., dass die Stimmen nach Köpfen und nicht nach Ständen gezählt werden. […] Ich bitte zu beachten, welch gewaltiger Unterschied zwischen der Versammlung des Dritten Standes und den Versammlungen der beiden anderen Stände besteht. Ersterer vertritt fünfundzwanzig Millionen Men schen und berät über die Interessen der Nation. Die beiden letzteren haben, sollten sie zusammentre ten, nur die Vollmacht von ungefähr zweihunderttausend Einzelpersonen und denken nur an ihre Vorrechte. Man wird sagen, der Dritte Stand allein kön ne keine „Generalstände“ bilden. Nun, umso bes ser, dann wird er eben eine „Nationalversammlung“ bilden! Zitiert nach: Eberhard Schmitt und Rolf Reichardt (Hrsg.), Emmanuel Joseph Sieyès. Poli tische Schriften 1788 1790, München/Wien 21981, S. 119, 123 125, 127, 130, 131 und 180 1. Erklären Sie, was die Ausführungen von Sieyès zu einer „Kampfschrift“ macht. 2. Arbeiten Sie Sieyès’ Argumente dafür heraus, dass nur der Dritte Stand die Nation vertreten könne. 3. Erarbeiten Sie eine Defi nition des Begriffes „Nation“ aus dem Artikel. u Überschrift des ersten Kapitels der Schrift „Was ist der Dritte Stand?“ von Emmanuel Joseph Sieyès. 5 10 15 20 25 30 35 40 45 50 55 Nu r z ur P rü fzw ec k n Ei en tu m d s C .C . B uc hn r V rla gs | |
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