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• Berücksichtigt werden muss, dass Piłsudski hier vor seinen Legionären spricht, die zu seinen treuesten Anhängern gehören. Damit befi ndet er sich gleichzeitig in einer Doppelfunktion: Erstens ist er als Staatschef die politisch wichtigste Person in Polen, zweitens hat er aber auch als ehemaliger Führer der Legionen ein militärisches Amt innegehabt. Es ist unwahrscheinlich, dass er bereits hier an einen möglichen Militärputsch gedacht hat, wie er ihn dann vier Jahre später durchgeführt hat, aber Piłsudski versucht hier eindeutig, sich der Loyalität seiner ehemaligen Truppen zu versichern. Zudem muss ihm bewusst gewesen sein, dass er aus den Reihen seiner Zuhörer keinerlei Kritik oder Nachfragen zu erwarten hatte. Die Anwesenden dürften ihn im Gegenteil bewundert oder verehrt haben. Deshalb fi elen seine Versuche, hier eine Art von Personenkult zu etablieren, wahrscheinlich auf fruchtbaren Boden. • Piłsudskis Einschätzung, dass er alleine mit dem „Soldaten“ den Polen einen neuen Menschentyp gegeben habe, ist eine erhebliche Selbstüberschätzung. Selbstverständlich hat es in Polen vor den Teilungen Soldaten gegeben, und während der Aufstände im 19. Jahrhundert haben Polen tapfer gekämpft. Piłsudski ignoriert dies vollständig, um sich selbst und indirekt auch seine Legionäre in das Zentrum der Politik zu rücken. Er stilisiert sich zum genialen Staatsmann, der gleichzeitig die Botschaft vermittelt, dass jemand wie er kaum ersetzbar sein dürfte. Zu Aufgabe 3 • Auffällig ist in der Tat, dass eine große Zahl der Spieler polnische Namen tragen. Es handelt sich größtenteils um die Nachkommen von Arbeitsmigranten, die wahrscheinlich noch im Kaiserreich aus dem Osten in das Ruhrgebiet gekommen und dann dort geblieben sind. Vor dem Hintergrund der Herkunft dieser Spieler ist der Jubel der polnischen Presse also gerechtfertigt. Allerdings wird dabei nicht berücksichtigt, dass sich wahrscheinlich die meisten der Spieler selbst nicht mehr als „Polen“, sondern als „Deutsche“, eventuell mit (modern gesprochen) Migrationshintergrund bezeichnet hätten, weil sie und ihre Eltern freiwillig im Ruhrgebiet geblieben sind. Wenn sie gewollt hätten, hätten sie zumindest vor 1933 jederzeit nach Polen auswandern können. • Zwar war am 26. Januar 1934 der deutsch-polnische Nichtangriffspakt abgeschlossen worden und damit hatte sich das außenpolitische Verhältnis zwischen Polen und dem Deutschen Reich vorübergehend entspannt. Aber dennoch scheint der Verein Schalke 04 die mögliche „polnische“ Herkunft seiner Spieler als Makel empfunden zu haben. Die nationalsozialistische Rassenideologie, die auch bereits zu diesem Zeitpunkt stark antislawisch argumentiert, und die lange Tradition der antipolnischen Stereotype hat hier bereits ihre Wirkung erzielt. Zu Aufgabe 4 • In seiner Ansprache zur Einweihung der Gedenkstätte Bergen-Belsen nimmt der erste Bundespräsident der Bundesrepublik Theodor Heuss zu der NS-Vergangenheit der Deutschen Stellung. Zu Beginn macht er die Notwendigkeit deutlich, sich mit den NS-Verbrechen auseinanderzusetzen. Dafür stehe seine Rede. Indem er die feigen Taten beim Namen nennt, wird sein Standpunkt und die eigene Betroffenheit deutlich. • Dann gerät die Rede auf eine persönlichere Ebene. Heuss bekennt, von Konzentrationslagern wie Dachau, Buchenwald oder Mauthausen und damit von der Judenverfolgung und -ermordung gewusst zu haben. Von Bergen-Belsen oder Auschwitz – die Orte der systematischen Vernichtung – habe er jedoch erst 1945 gehört. Dennoch betont er, dass niemand sein Wissen über die „Dinge“ leugnen könne. So habe man durch die Schreiben der Bischöfe von der „Euthanasie“ in deutschen Heilanstalten gewusst. Vom Ausmaß des Holocaust hätte die „bürgerliche und christliche Fantasie“ jedoch nichts geahnt. 171 Nu r z u Pr üf zw ck en E g tu m d e C .C .B uc hn er V er la gs | |
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