Volltext anzeigen | |
201Lebensund Arbeitsbedingungen im Wandel i „Heimweh.“ Postkarte, 1910 1920. Die fremde und anonyme großstädtische Lebensund Arbeitswelt weckte bei vielen vom Land Zugewanderten Heimwehgefühle und führte zu einer Romantisierung und Idealisierung des Landlebens. holten Frauen und Kinder nach oder gründeten in der Stadt eine Familie. Dadurch wurden Familienverbände auseinandergerissen; die Menschen verloren ihr soziales Umfeld. Trotz der meist besseren Lebensbedingungen litten viele ehemalige Landbewohner an Heimweh. Sie idealisierten ihr früheres Leben, da ihnen die Stadt fremd blieb. Als besonders problematisch empfanden sie die Anonymität. Während die Dorfgemeinschaft in sozialen Notlagen für den Einzelnen aufkam, war in der Stadt jeder auf sich allein gestellt. Damit entfi el auch die soziale Kontrolle, die auf dem Land ausgeprägt war und das Leben des Einzelnen wie der Gemeinschaft mitbestimmte. Von einer „sittlichen Verwahrlosung“, die viele Zeitgenossen dem Einfl uss der Städte zuschrieben, kann aber nicht gesprochen werden. Zwar sorgte der Anstieg der Prostitution seit den 1890er-Jahren für Diskussionen, insgesamt stieg die Kriminalitätsrate jedoch in Zeiten wirtschaftlicher Krisen überall. Auch die Zahl unehelicher Geburten lag in den Städten über viele Jahre nicht höher als auf dem Land. Wohnungselend Durch den enormen Zuzug in die Städte wurde der Wohnraum knapp. Vor allem fehlten preiswerte Unterkünfte für Arbeiterinnen und Arbeiter (u M2). Zunächst hatten die Zuwanderer noch in den meist heruntergekommenen Vierteln der Altstädte eine Bleibe gefunden, jedoch reichte dort der Platz schon bald nicht mehr aus. Daher wurde mit dem Bau von Wohnungen in der Nähe der Fabriken begonnen, die sich meist vor den Stadtmauern ansiedelten – weit ab von den Villenvierteln und bürgerlichen Wohngegenden. Wohnlage und Mietpreise sorgten für einen hohen Grad an sozialer Differenzierung. Vor allem in den großen Städten gingen Bauunternehmer angesichts des knapper werdenden Baulandes dazu über, dicht aneinandergereihte, mehrgeschossige Mietskasernen mit Vorund Hinterhäusern sowie winzigen Hinterhöfen zu bauen. Sie nutzten die Grundstücksfl äche durch äußerst enge und minderwertige Bebauung aus, um hohe Gewinne zu erzielen. Ein Großteil der Wohnungen verfügte weder über fl ießendes Wasser noch über Toiletten. Auch konnten sie nur unzureichend beheizt werden, sodass die Räume häufi g feucht und schimmelig waren. Die Mieten lagen trotzdem hoch und fraßen einen Großteil des Einkommens auf. Daher teilten sich vierbis sechsköpfi ge Familien oft nur einen Wohnraum und nahmen zusätzlich noch „Schlafgänger“ auf, die sich eine Schlafstelle mieteten. Die Stadtverwaltungen reagierten auf das Wohnungselend zunächst nur zögerlich, weil die Arbeiter in den politischen Gremien kaum vertreten waren. Da man einen Sittenverfall in den überfüllten Arbeitervierteln befürchtete, suchten die Kommunen ab den 1890er-Jahren verstärkt nach Lösungen. Sie legten Bebauungspläne fest und erarbeiteten städtebauliche Konzepte, um das Wachstum zu lenken und die Wohn und Hygieneverhältnisse zu verbessern. Einfl ussreiche Hausund Grundstücksbesitzer konnten kommunale Bauvorhaben jedoch blockieren. Erreicht wurde höchstens eine strengere Aufsicht durch die Behörden, die den bautechnischen und hygienischen Zustand der Wohnungen überprüften. Beanstandungen fi elen dann allerdings oft auf die Bewohner zurück. Erst um die Jahrhundertwende entspannte sich die Lage auf dem Wohnungsmarkt. Oft wurde das Leben in den neuen Arbeiterquartieren durch Rauch und Lärm der Industriezentren so stark belastet, dass dort die Lebenserwartung deutlich niedriger lag als in den Wohnvierteln des Bürgertums. Die Umweltfrage war also auch ein wichtiger Teil der sogenannten Sozialen Frage. Internettipp: www.bpb.de/apuz/29840/ umweltgeschichte-alszeitgeschichte?p=all Nu r z u Pr üf zw ck en Ei ge nt um d s C .C .B uc hn er V er la gs | |
![]() « | ![]() » |
» Zur Flash-Version des Livebooks |