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405Deutschland nach 1945: zwischen Zusammenbruch und Neubeginn Nachfolgeprozesse In allen vier Besatzungszonen fanden zwischen 1945 und 1949 zahlreiche weitere Prozesse gegen mutmaßliche NS-Täter statt. Von besonderer Bedeutung waren die zwölf großen Verfahren vor amerikanischen Militärgerichten in Nürnberg gegen SS-Ärzte, Juristen, Leiter von Einsatzgruppen der Sicherheitspolizei, Industrielle, hohe Offi ziere der Wehrmacht, SS-Führer, leitende Beamte des Auswärtigen Amtes und KZ-Wächter. Insgesamt verurteilten die westlichen Besatzungsmächte 5 025 Angeklagte, 486 wurden hingerichtet. Von westdeutschen Gerichten wurden von 1948 bis 1951 weitere 5 487 Personen wegen NS-Verbrechen verurteilt. Danach fanden nur noch wenige Prozesse gegen NSTäter statt. Die systematische Erforschung und Verfolgung von NS-Gewaltverbrechen begann erst seit 1958 mit der Gründung der Zentralen Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung nationalsozialistischer Gewaltverbrechen in Ludwigsburg. Vorausgegangen war der sogenannte „Ulmer Einsatzgruppenprozess“: In einem Gerichtsverfahren wurden dabei ein ehemaliger Polizist, der auf Wiedereinstellung geklagt hatte, und von ihm benannte Zeugen des Massenmordes an Juden während der NS-Zeit überführt und verurteilt. Eine breite Öffentlichkeit nahm Anteil an Großver fahren wie dem ersten Auschwitz-Prozess in Frankfurt am Main (1963 1965) und dem MajdanekProzess* in Düsseldorf (1975 1981). Erst diese Prozesse machten den Deutschen das ganze Ausmaß des Holocaust deutlich. In einem der letzten großen NS-Prozesse wurde 1992 in Stuttgart der ehemalige SS-Lagerkommandant von Przemysl in Polen, Josef Schwammberger, zu lebenslanger Haft verurteilt. Noch im April 2001 verurteilte das Landgericht Ravensburg einen ehemaligen SS-Offi zier wegen der Ermordung von Zwangsarbeitern im Frühjahr 1945 zu zwölf Jahren Freiheitsstrafe. Viele Täter konnten dagegen nie belangt werden. Entnazifi zierung Neben der Aburteilung der Kriegsverbrecher gehörte zum Entnazifi zierungskonzept der Alliierten auch eine umfassende politische Säuberung im besetzten Deutschland. Anders als Briten und Franzosen betrieben die Amerikaner die Entnazifi zierung mit großer Strenge und einem gewaltigen bürokratischen Aufwand. Von 18 000 Volksschullehrern in Bayern verloren 10 000 ihre Stellen. In Hessen wurde jeder zweite Beamte und jeder dritte Angestellte entlassen. Ausnahmen wurden jedoch immer gemacht, wenn es um Experten ging, die für den Wiederaufbau benötigt wurden. In allen drei Westzonen wurden mehr als 170 000 NS-Aktivisten in Internierungs lager gebracht („automatischer Arrest“), die meisten von ihnen aber bald wieder entlassen – die letzten 1948. Im März 1946 übergaben die Amerikaner die Entnazifi zierung in deutsche Hände. Jeder Deutsche über 18 Jahren musste einen Fragebogen mit 131 Fragen über seine berufl iche und politische Vergangenheit ausfüllen. Spruchkammern stuften in einem prozessähnlichen Verfahren die erfassten Personen in fünf Kategorien ein: Hauptschuldige, Belastete, Minderbelastete, Mitläufer und Entlastete. Demgemäß verhängten sie die vorgesehenen Strafen. Bei mehr als 13 Millionen Fragebögen in der US-Zone fi elen 3,4 Millionen Personen unter die Entnazifi zierung, zehn Prozent von ihnen wurden verurteilt, aber nur knapp ein Prozent tatsächlich bestraft. Es war die Zeit der „Persilscheine“, die man sich wechselseitig ausstellte, aber auch der Denunziation und der Korruption. Viele empfanden * Majdanek: Vorort von Lublin (Polen), bei dem die Nationalsozialisten ein Vernichtungslager einrichteten. Es existierte von Herbst 1941 bis Juli 1944; zwischen 80 000 und 110 000 Menschen kamen in Majdanek zu Tode. Internettipp: www.hr-online.de/website/ static/spezial/auschwitzprozess/ index.html DVD-Tipp: Deutsch-deutsche Geschichte. Umgang mit der NS-Vergangenheit; Grünwald 2008, Produktion: FWU Institut für Film und Bild, in Zusammenarbeit mit der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur Literaturtipp: Jörg Osterloh und Clemens Vollnhals (Hrsg.), NS-Prozesse und deutsche Öffentlichkeit. Besatzungszeit, frühe Bundesrepublik und DDR, Göttingen 2011 i „Ohne Worte.“ Karikatur aus der Zeitschrift „Wespennest“ von 1948. „Persilschein“: im Volksmund Bestätigung, wonach jemand Gegner oder zumindest nicht Sympathisant des Nationalsozialismus war Nu r z u P üf zw ck en Ei ge tu d es C .C .B uc ne r V er la gs | |
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