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Die Europäische Union – eine Erfolgsgeschichte? zurückgegangen, der Fanatismus und die Leidenschaften in ihnen brennen weiter […] Spiegel: Warum sollte die EU nicht der Champion der „soft power“, der sanften Macht, sein können? Laqueur: Freiheit, Menschenrechte, soziale Gerechtigkeit – wunderbar, ich will die Errungenschaften der europäischen Gesellschaften auf diesen Feldern nicht schmälern. Aber ein Vorbild? Europa ist viel zu schwach, um eine zivilisierende oder moralische Rolle in der Weltpolitik zu spielen. Schöne Reden und wohlmeinende Ermahnungen haben wenig Gewicht, wenn sie aus einer Position der Schwäche heraus vorgetragen werden […] Ich fürchte, Europa hat seinen moralischen Kredit weitgehend verspielt. Es scheut sich, Sanktionen zu verhängen; es tut sich unendlich schwer, in Krisen außerhalb Europas zu intervenieren […] Spiegel: Der Euro-Optimismus ging damals so weit, dass sogar in den USA in Büchern, Vorträgen und Essays vorausgesagt wurde, das 21. Jahrhundert werde das Jahrhundert Europas werden. Laqueur: Um die Jahrtausendwende zeigten sich die europäischen Staatsund Regierungschefs auf ihren Gipfeltreffen überzeugt, dass Europa dabei sei, ein leuchtendes Beispiel zu werden, ein Vorbild für die Nationen, mit seinen internationalen Tugenden, seinen gemeinsamen Werten, seinem Sozialstaatsmodell und dem System der zwischenstaatlichen Beziehungen. […] Diese Euphorie hatte wahrscheinlich mehr mit einer Enttäuschung über Amerika, […], zu tun als mit den wahren Umständen in Europa. Der SPIEGEL, 30/2013, S. 108 110 M3 Politische Enteignung der Bürger Hans Magnus Enzensberger, deutscher Dichter, der sich leidenschaftlich immer wieder Zeitfragen zuwendet, kritisiert unter dem Titel „Wehrt euch gegen die Bananenbürokratie!“ 2010 in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ die Europäische Union: Meine Lobrede auf die Europäische Union ist kurz. In der Geschichte unseres Erdteils gibt es nur wenige Jahrzehnte, in denen der Friede geherrscht hat. Zwischen den Staaten, die diesem Bund angehören, ist es seit 1945 zu keinem einzigen bewaffneten Konfl ikt mehr gekommen. Das ist eine Anomalie, auf die Europa stolz sein kann. Auch über eine Reihe von anderen Annehmlichkeiten können wir uns freuen. Sie sind inzwischen so selbstverständlich geworden, dass sie uns kaum noch auffallen. Ich bin aber alt genug, um mich daran zu erinnern, wie mühsam es nach dem Zweiten Weltkrieg war, ein benachbartes Land zu betreten. […] Schon seit der Gründung der Europäischen Gemeinschaften haben Ministerrat und Kommission dafür gesorgt, dass die Bevölkerung bei ihren Beschlüssen nichts mitzureden hat. Als hätte es die Verfassungskämpfe des neunzehnten und zwanzigsten Jahrhunderts nie gegeben, haben sie sich von Anfang an auf eine Kabinettspolitik verständigt, die alles Wesentliche im Hinterzimmer aushandelt. Dass dieser Rückfall in vorkonstitutionelle1 Zustände durch kosmetische Korrekturen zu heilen wäre, glaubt inzwischen niemand mehr. Das viel beschworene demokratische Defi zit ist also nichts weiter als ein vornehmer Ausdruck für die politische Enteignung der Bürger. Damit befi nden sich die Akteure in einer äußerst komfortablen Situation. Anders als in einem klassischen Rechtsstaat gibt es im Regime der Europäischen Union keine richtige Gewaltenteilung. […] Die Kommission hat praktisch ein Monopol für die Gesetzesinitiative. Sie verhandelt und entwirft ihre Richtlinien hinter geschlossenen Türen. Die Kontrolle durch das Europaparlament ist schwach. Es kann nur über etwa vierzig Prozent des Budgets entscheiden. Die klassische Regel „No taxation without representation“ hat hier keine Gültigkeit. Die über fünfzehntausend Lobbyisten, die in Brüssel tätig sind, haben mehr Einfl uss auf die Entscheidungen der Kommission als alle Abgeordneten. […] Was aber die Bewohner unseres Erdteils am meisten nervt, ist der Regelungswahn der Brüsseler Behörden. […] Es gibt einen schönen Satz des deutschen Philosophen Odo Marquard, den man der Eurokratie gerne hinter die Ohren schreiben möchte: „Es kommt nicht darauf an, die Welt zu verändern, sondern sie zu verschonen.“ Leider folgt man in Brüssel lieber einer anderen Maxime. Sie lautet: Augen zu und durch. Nun fällt es den Angehörigen einer jeden politischen Klasse natürlich schwer einzusehen, dass sie nicht unsere Herren, sondern unsere Diener sind. Hans Magnus Enzensberger, Wehrt euch gegen die Bananenbürokratie!, in: FAZ vom 3. Februar 2010, Nr. 28, S. 27 1. Untersuchen Sie für M1 bis M3, welche Argumente die Autoren anführen, die für oder gegen das „Erfolgsmodell Europa“ sprechen. 2. Arbeiten Sie die Kriterien, nach denen die Autoren urteilen, heraus. Auf welche Bereiche beziehen sich die positiven und die negativen Aussagen jeweils? Stellen Sie Ihre Ergebnisse in einer Mindmap dar. 3. Überprüfen Sie die hier präsentieren Argumente anhand der Informationen im Darstellungstext auf Seite 518 535. 4. Die EU – eine Erfolgsgeschichte? Nehmen Sie Stellung. 15 20 25 30 35 541 1 vorkonstitutionell: bevor es Verfassungen gab 5 10 15 20 25 30 35 40 45 Nu r z u Pr üf zw ck en E ge nt um d es C .C .B uc n r V rla gs | |
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