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7Geschichte erzählt Endlich war es soweit, gegen sechs Uhr durften die Schüler das Kloster verlassen und sich unter die Menschen auf der Straße mischen, die sich aufgeregt die Neuigkeiten dieses Tages erzählten. Überall standen Gruppen beieinander, die den Berichten derer lauschten, die in der Nähe des Hôtel des Invalides oder der Bastille gewesen, vielleicht sogar an den Kämpfen beteiligt waren. Marc-Antoine war tief beeindruckt von den umstürzenden Vorgängen, die sich während seiner Lateinklausur auf dem anderen Ufer der Seine ereignet hatten. Doch der durch die Lektüre der Klassiker und die Diskussionen in seinem aufklärerisch gesinnten Elternhaus politisch hellwache und gewiss auch ein wenig altkluge Schüler erkannte sofort, dass die Eroberung der Bastille nur ein äußerliches Ereignis bleiben würde, falls nicht zugleich auch die Macht des Königtums gebrochen würde. Wozu hatte er schließlich seinen Aristoteles, seinen Cicero und seinen Caesar gelesen? Er handelte blitzschnell. Eilig lief er in den Saal des Klosters zurück, in dem er die Klausur geschrieben hatte. Auf den Tischen lagen noch einzelne Bögen Papier, die nicht verbraucht worden waren. Marc-Antoine raffte sie zusammen, faltete sie mehrfach und zerriss sie in mehrere kleine quadratische Zettel, auf die er nur zwei Sätze schrieb: Als er alle Zettel beschrieben hatte, stürmte er auf die Straße hinaus und verteilte seine kleinen Flugblätter an die Passanten. Mit einer Mischung aus Unglauben und Bestürzung lasen die Menschen, die sich gerade noch an der unglaublichen Eroberung der Bastille berauscht hatten und zufrieden nach Hause gehen wollten, die unverständliche Forderung, die ihnen ein Schuljunge mit leuchtenden Augen in die Hand drückte. Ein seltsamer Junge war das! Wer von ihnen hatte denn die Absicht, den Thron des Königs zu stürzen? Niemand wollte so etwas! Winfried Schulze, Der 14. Juli 1789. Biographie eines Tages, Stuttgart 21989, S.126f. Geschichte erzählt Was Marc-Antoine am 14. Juli 1789 machte 4453_006_015 06.06.14 11:22 Seite 7 Nu r z u Pr üf zw e k n Ei ge nt um d es C .C . B uc hn er V e la gs | |
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