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163Mit Material arbeiten M3 Bitte der Petersburger Arbeiter In einer von 135000 Arbeiterinnen und Arbeitern unterschriebenen Bittschrift vom 9. Januar 1905 an den Zaren heißt es: Herrscher! Wir, die Arbeiter der Stadt Petersburg, unsere Frauen, Kinder und hilflosen greisen Eltern sind zu Dir, Herrscher, gekommen, Wahrheit und Schutz zu suchen. […] Herrscher, wir sind hier mehr als 300000, und sie alle sind nur dem Aussehen nach, nur ihrem Äußeren nach Menschen, in Wirklichkeit erkennt man uns kein menschliches Recht zu, wir dürfen nicht einmal sprechen, denken, uns versammeln, unsere Nöte besprechen, Maßnahmen zur Verbesserung unserer Lage ergreifen. […] Russland ist viel zu groß, seine Nöte sind viel zu mannigfach und zahlreich, als dass die Beamten allein es verwalten könnten. Es ist notwendig, dass das Volk selbst sich helfe – kennt es doch allein seine Nöte. Stoße seine Hilfe 1. Beschreibe und interpretiere das Industrialisierungsniveau Russlands im Vergleich zu den anderen Industrienationen (M1). 2. Erläutere die Struktur der Arbeiterschaft (M2). Was sagt die Entwicklung der Industriearbeiter aus? 3. Fasse die Forderungen der Arbeiter zusammen (M3). Überlege, welche mit einer breiten Zustimmung rechnen konnten, welche nicht. 4. Erläutere, welche Gefahren Witte sieht (M4). Beende seine Denkschrift mit eigenen Worten. Beginne mit „Die Staatsgewalt …“. 5 10 15 20 25 30 35 M4 Blick in die Zukunft Sergej J. Graf Witte prägt um die Jahrhundertwende die russische Finanzund Wirtschaftspolitik. Im Oktober 1905 legt er dem Zaren eine Denkschrift vor, in der er schreibt: Noch ist kein Jahr verstrichen, da das allgemeine Wahlrecht nur von den radikals ten Elementen der Gesellschaft gefordert wurde. Heute gibt es keinen Verband und keine Zeitung, die es nicht verlangen, es wird nicht einmal mehr darüber gestritten. Als selbstverständlich sind die politische Gleichberechtigung der Frau, die Nationalisierung des Grundbesitzes und eine soziale Neuordnung des Staates mit inbegriffen. Die Selbstständigkeit Polens und Finnlands, ja sogar Armeniens und Georgiens bildet nicht mehr das Endziel der Föderalis ten*. Es erheben sich Stimmen 5 10 15 20 25 30 35 40 45 50 für eine Autonomie** der Provinzen überhaupt, d.h. für die Umwandlung Russlands in einen Bundesstaat freier, über sich selbst bestimmender Völker. Wir leben in einer Zeit der extremsten Ideen. Man zerbricht sich nicht den Kopf, ob das gesetzte Ziel zu erreichen ist. Sogar die konstitutionelle Verfassung erfährt strenge Kritik. Sozialistische Tendenzen bedrohen die individuelle Freiheit, wirtschaftliche Probleme ersticken die rechtlichen. […] Der historische Fortschritt ist unaufhaltsam. Entweder wird die bürgerliche Freiheit durch Reformen verwirklicht oder durch eine Revolution. Im zweiten Fall aber wird diese Freiheit erst spät aus dem Aschenhaufen eines zerstörten tausendjährigen geschichtlichen Daseins entstehen. Die russische Revolution, sinnlos und erbarmungslos, wird alles wegfegen, alles in Trümmer schlagen. In welcher Form Russ land aus dieser beispiellosen Prüfung hervorgehen wird – das übersteigt unser Darstellungsvermögen. Aber die Schrecken der russischen Revolution werden alles übertreffen, wovon die Geschichte berichtet. Es ist möglich, dass durch ausländische Einmischung das Reich in Stücke gerissen wird. Man wird versuchen, die Ideale des theoretischen Sozialismus*** zu verwirklichen; diese Versuche werden umsonst sein, aber dennoch von einschneidender Wirkung. Sie werden die Familie zerstören, das religiöse Leben vernichten, das Eigentum beseitigen und alle Rechtsgrundlagen untergraben. Wladimir von Korostowetz, Graf Witte, der Steuermann in der Not, Berlin 1929, S. 229 und 16 **Autonomie: Unabhängigkeit ***Sozialismus: siehe Grundwissen *Föderalismus: das Streben nach Errichtung oder Erhaltung eines Bundesstaates mit weitgehender Eigenständigkeit der Einzelstaaten M1 Industrialisierung pro Kopf im Vergleich (im Vergleich zu Großbritannien: 1900=100) 1860 1880 1900 1913 Großbritannien 64 87 [100] 115 Vereinigte Staaten von Amerika 21 38 69 126 Frankreich 20 28 39 59 Deutsche Staaten/Deutsches Reich 15 25 52 85 Italienische Staaten/Italien 10 12 17 26 Österreich-Ungarn 11 15 23 32 Russisches Reich 8 10 15 20 Nach: Paul Kennedy, Aufstieg und Fall der großen Mächte. Ökonomischer Wandel und militärischer Konflikt von 1500 bis 2000, Frankfurt a. M. 52005, S. 237 und 309 M2 Die Arbeiterschaft im europäischen Russland Angaben in Tausend 1865 1890 Arbeiter – in Fabriken 509 840 – in Bergwerken 165 340 – beim Eisenbahnbau 32 252 – in der Landwirtschaft 700 3 500 – in der Waldwirtschaft – 2 000 – Bauarbeiter 350 1 000 – Heimarbeiter 800 2 000 – Tagelöhner, Gehilfen 800 – Nach: Dietrich Beyrau/Manfred Hildermeier, Von der Leibeigenschaft zur frühindustriellen Gesellschaft (1856 bis 1890), in: Gottfried Schramm (Hrsg.), Handbuch der Geschichte Russlands, Bd. 3, Stuttgart 1983, S. 127 (vereinfacht) nicht von Dir: Nimm sie an, befiehl sofort, gleich, die Vertreter aller Klassen und Stände der russischen Erde einzuberufen. Mögen da der Kapitalist und der Arbeiter und der Geistliche und der Doktor und der Lehrer vertreten sein; mögen alle, wer sie auch seien, ihre Vertreter wählen, möge jeder im Rechte zu wählen gleich und frei sein, – und zu diesem Zwecke sollst Du befehlen, dass die Wah len zur konstituierenden Versammlung unter der Bedingung der allgemeinen, geheimen und gleichen Stimmabgabe stattfinden. Das ist unsere Hauptbitte […]. Wladimir I. Lenin, Sämtliche Werke. Einzige vom LeninInstitut in Moskau autorisierte Ausgabe, Bd. VII, Wien/Berlin 1929, S. 557ff. 4453_162_175 06.06.14 11:30 Seite 163 Nu r z u Pr üf zw ck en Ei ge nt um d es C. C. B uc hn r V er la gs | |
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