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Grenzgänger und Dichter zugleich. Da war einer, der zurückgekommen war aus der Welt, die mich seit einem halben Menschenleben narrte; einer, der den Grenzgang in sich zu Ende gegangen war; einer, der alles, was ich immerzu gesucht hatte und nie finden würde, hinter sich gelassen hatte. Ich wollte diesen Ransmayr kennenlernen. Wer könnte besser über unsere Expeditionen erzählen als einer, der Nordpol, Wüste und Zukunft außer sich hatte! Wie seine Figuren, die Zivilisation und Selbstbetrug zurückließen, sollte er mich einmal bis dorthin begleiten, wo das Alles zum Einen wird inmitten einer Wüste, hoch überm Wolkenmeer oder in der Ziellosigkeit des Eismeeres, wo nur noch die Magnetnadel an die Beschränktheit der Menschen erinnert. Nicht einmal Orientierungssinn haben wir Menschen. […] Die Welt, in die wir uns vorgetastet haben, ist wie die Zeit, in die wir geworfen sind: Auseinanderbrechen, Ungewissheit, Untergang. Nichts ist fest. Das Eis, auf dem wir stehen, bricht; das Morgen ist wie das Übermorgen ungewiss. Alles ist glatt und gefährlich und unberechenbar. Hubert und ich brachen mit unseren Hoffnungen ein. Es war nicht Zufall, es musste so sein. Denn das Eismeer ist wie das Heute. Der Boden, auf dem wir im Polarmeer standen, war brüchig. Der Morbus1 unserer Zeit ist der Verfall aller Sicherheiten. Die Verdüsterung, die sich langsam über Land und See und Stadt legt, geht mit Orientierungslosigkeit einher. Als hätte die Sonne an Strahlkraft verloren. Und der Mensch an Instinkt. Auch der Boden unter uns ist immerzu in Bewegung. Wir alle ahnen, dass er nicht trägt. Nicht mehr lange. Wo wir noch gehen, da wird bald niemand mehr gehen können. 1 morbus (lat.): Krankheit, Leiden 25 30 35 40 45 219Umgang mit Texten und Medien Eiswelten Faszination und Grauen Nu r z u Pr üf we ck n Ei ge nt um d es C .C . B uc hn er V er la gs | |
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