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95Umgang mit Texten und Medien Erlebte Zeitgeschichte Dezember 1976: Eva, meine liebe liebe Liebe, ich hab Dein gutes Gesicht im TV gesehen, Deinen verlegenen Mund ohne alle Schauspielerkeckheit und Deine leidvollen großen Augen, ach Du mit Deinem lieben Gesicht, ich hab solche Sehnsucht nach uns. Ich schreibe dir zwischen Tür und Angel, ich habe gerade eine Erklärung geschrieben, die ich nach Paris durchtelefonieren will, weil dort heute Nachmittag eine Pressekonferenz stattfindet, dort hat sich ein Komitee gebildet zur Solidarität mit mir und mit Euch, und es sind lauter gute und berühmte Leute dabei. [...] Was soll ich Dir, was Euch bloß raten?! Ich möchte am liebsten, dass ihr schnell zu mir kommt – und möchte am liebsten, dass ihr in unserem Land bleibt ... beides am liebsten. Aber wenn beides das Beste wäre, sollt ihr, sollst Du das tun, was nach Abwägung aller privaten + politischen Elemente für Dich das Bessere ist. Falls Du Dich entscheidest und auch die Möglichkeit hast, zu kommen, zu gehen, dann komme und wir werden hier auch leben und für unsere gute Sache arbeiten können. Denk mal an unseren alten Plan, eine Penja1 aufzumachen, wo wir selbst singen können und gute Leute aus der ganzen Welt kommen und singen können. Aber es gibt auch andere Möglichkeiten. Nur: Wenn Ihr alle hier rüberkommt, dann werde ich wohl noch viel weniger Chance haben, in die DDR zurückzukommen, dann richten sich die Bonzen gemütlich ein, dann ist Ruhe im Karton – ich weiß nicht. Überlegt gut und berate Dich mit Robert und anderen – ich will Dir nur sagen, dass ich Dich lieb hab und Dir beistehe mit allem, was ich kann, so oder so, dort oder hier. [...] Wolf Biermann an Eva-Maria Hagen 6 Aufgaben: Seite 96 7 Aufgaben: Seite 96 10 15 20 5 5 10 15 1 Penja: span. peña: Gruppe, Club, Vereinigung (bes. von Künstlern, Musikern) 8.12.89: Die Ereignisse überschlagen sich, keine Zeit zum Aufschreiben. […] Nach 13 Jahren hat Wolf ein Konzert gegeben in Leip zig. Wir fuhren im Tross von Westberlin aus. Die Staatssicherheit war wie elektrisiert, wir standen noch auf der Fahndungsliste. Wolf hat die neuen Lieder gesungen, Namen genannt, Krenz verhöhnt. Ich hab mit Wolf das Lied „Erste Liebe“ gesungen. Eine wahnsinnige Woche. Alte Freunde getroffen. […] Dann hab ich beim Treffen ehemaliger und derzeitiger Liedermacher in Ostberlin, Haus der jungen Talente, gesungen: „Ich leb mein Leben“, „Die ausm Osten“. Mir rannen die Tränen runter. Im Publikum haben viele geweint. Es war befreiend. Wolf war sehr zufrieden mit mir, hat mich lange gedrückt, war miterschüttert. Es wurde vom Rundfunk übertragen, Ost und West, vom Fernsehen. Samstag früh, am 3. Dezember 1989, beschlossen wir, wieder in die DDR zu gehen. Tagebuch-Aufzeichnung Eva-Maria Hagen Wolf Biermann und Eva-Maria Hagen Nu r z u Pr üf zw ec ke n Ei ge nt um d es C .C . B uc h er V er la gs | |
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