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191Verteilungskonfl ikte: die Aufnahme von Flüchtlingen und Vertriebenen In den beiden Räumen gibt es keine Glühbirnen. Eine geliehene wurde für eine Rübensaftküche zurückgefordert und nicht wiedergebracht. Holz für den Herd ist nur spärlich vorhanden. Um sich zu waschen, müssen diese 42 Menschen zwischen zwei und 64 Jahren in der Zeit von 7 bis 8:30 Uhr früh in die einen halben Kilometer entfernte Zuckerfabrik gehen, wo es Waschräume gibt. Eines der Flüchtlingsschicksale möge für alle sprechen. Es handelt sich um eine Frau in mittleren Jahren. Sie wurde von den deutschen Truppen beim Rückzug aus der Ukraine mit nach Polen genommen, in Litzmannstadt [L/ ódz´] 1945 verhaftet, von ihren beiden kleinen Töchtern getrennt, sechs Monate ins Gefängnis gesteckt und dann neun Monate in ein Arbeitslager. Nach einem Jahr Sklavenarbeit bei polnischen Bauern fl oh sie, brachte monatelang in Lagern zu, bis sie nach Weetzen in diese Flüchtlingsunterkunft eingewiesen wurde. Wie wohlbehütet ist dagegen das Leben der meisten Einheimischen verlaufen! Als uns einige der Flüchtlinge bis auf die Straße begleiteten, trug man gerade zwei große Plattenkuchen vorbei. Die Flüchtlinge haben sich abgewandt. In wenigen Tagen ist Weihnachten. Hannoversche Presse, 16. 12. 1947, S. 2, zitiert nach: Thomas Berger und KarlHeinz Müller, Lebenssituationen 1945 1948, Hannover 1983, S. 137 f. 1. Beschreiben Sie die im Artikel dargestellte Situation der Flüchtlinge und Vertriebenen in Weetzen. 2. Charakterisieren Sie, was an dieser Situation typisch ist für die Lage der Vertriebenen nach 1945. 3. Arbeiten Sie heraus, welche Haltung der Autor des Artikels zum Flüchtlingsproblem einnimmt. 4. Der Osteuropa-Historiker Andreas Kossert beschreibt das Nachkriegsdeutschland in Bezug auf die Aufnahme der Flüchtlinge und Vertriebenen als „Kalte Heimat“. Erörtern Sie, inwiefern diese Bezeichnung zutreffend ist. Beziehen dabei auch M2 und M3 mit ein. 5. Nehmen Sie in Form eines Essays Stellung zu der Frage, was es bedeutet, die Heimat zu verlieren. M4 Die Notlage der Flüchtlinge Auf einer Dienstbesprechung der Kreisfl üchtlingsbetreuer des Kreises Stadthagen am 21. August 1946 wird festgehalten: Die Flüchtlinge haben bisher eine bewunderungswürdige Geduld gehabt und haben sich die gutgemeinten „Vertröstungen der Kreisfl üchtlingsbetreuer“ angehört und haben gewartet. Die augenblickliche Not muss aber geradezu katastrophale Formen annehmen, wenn nicht noch vor Beginn des Winters wenigstens ausreichend Herde, Öfen, Betten, Strohsäcke, Decken, Schuhe und auch Kopftöpfe herangeschafft werden ... Zusammenfassend sei also hiermit festgestellt: 1. Ein Großteil der Flüchtlinge kann unter den augenblicklichen Verhältnissen weder arbeiten noch leben. 2. Wenn keine baldige Hilfe kommt, dann werden Resignation, Abkehr vom politischen Wiederaufbau, Misstrauen gegenüber dem Wesen der Demokratie, Blüte des Schwarzen Marktes, Anwachsen von Vergehen und Verbrechen usw. unvermeidlich sein. 3. Der augenblickliche Zustand darf kein Dauerzustand sein. Vor Beginn des Winters muss wenigstens die größte Not gelindert sein. Da allgemein bekannt ist, dass zum Teil noch beachtliche Mengen von Verbrauchsgütern gelagert werden, stelle ich hiermit, zugleich im Namen des Kreisfl üchtlingsausschusses, die nachdrückliche Forderung, dass alles getan wird, um 1. eine Freigabe der Lagerbestände zu erreichen und 2. eine Erhöhung der Produktion bei den wichtigsten Verbrauchsgütern herbeizuführen. Niedersächsisches Staatsarchiv Bückeburg, zitiert nach: Klaus Maiwald, Flüchtlinge und Vertriebene im Schaumburger Land, in: Praxis Geschichte, 1989, H. 3, S. 22 1. Geben Sie die Forderungen des Kreisfl üchtlingsausschusses wieder. 2. Erklären Sie die Hintergründe für die geschilderte Notlage. 3. Entwickeln Sie eine Einschätzung dazu, ob die aufgezeigten Befürchtungen für den Fall, dass keine Hilfe kommen sollte, realistisch sind. 5 25 30 35 40 10 15 20 25 u Ausweis für Vertriebene und Flüchtlinge. Die Ausweise „A“ und „B“ waren für Vertriebene und Flüchtlinge aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten, den Ausweis „C“ erhielten „Sowjetzonenfl üchtlinge“, also als Flüchtlinge anerkannte Abwanderer aus der SBZ bzw. DDR. 32015_1_1_2015_Kap2_138-203.indd 191 01.04.15 10:12 Nu r z u Pr üf zw ec ke Ei ge nt um d es C .C . B uc hn er V er la gs | |
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