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489 • Gleichzeitig warnt Heuss davor, durch einen Vergleich der Verbrechen, etwa mit jenen der Besatzungsmächte in den Kriegsgefangenenlagern, die eigene Schuld vermindern zu wollen. Diese Gleichsetzung und damit die Relativierung der NS-Verbrechen sei die Logik der „moralisch Anspruchslosen“. Heuss schließt mit dem Appell, die Botschaft des Mahnmals zu verstehen: die Verpfl ichtung, sich zu erinnern und aus der Vergangenheit eine Lehre für die Zukunft zu ziehen. Zu Aufgabe 5 • Die Rede von Heuss macht einen deutlichen Wandel im nationalen Selbstverständnis deutlich. In seiner Rede manifestiert sich die Einstellung der jungen Bundesrepublik zur NS-Vergangenheit, die nun zum entscheidenden Bezugspunkt wird. Anders als die DDR verstand sich die Bundesrepublik als Nachfolgerin des Deutschen Reiches, für dessen Erbe sie nun die Verantwortung übernahm. Dazu gehörte die öffentliche Auseinandersetzung mit dem Thema, die das gewandelte Selbstverständnis der westdeutschen Demokratie auch nach außen sichtbar machen sollte. • Bemerkenswert ist, dass Heuss in seiner Rede den Begriff der Scham verwendet, nicht aber von Schuld spricht. Damit weist er auf die abstrakte kollektive Verantwortung der Deutschen hin, umgeht aber die konkrete Zuweisung individueller Schuld. In den frühen 1950er-Jahren wäre eine solch direkte Konfrontation wohl auch nicht möglich gewesen. Bei einem Großteil der Deutschen herrschte der Wunsch nach Vergessen und Verdrängen der Vergangenheit vor. Heuss wählte damit Worte, die nicht anklagten, sondern anregten und damit eine frühe Auseinandersetzung mit der Vergangenheit möglich machten. Zu Aufgabe 6 • Bis 1945 betrieben die Deutschen eine Gedenkund Erinnerungskultur, die an nationale Helden erinnern und nationale Größe versinnbildlichen sollte. Diese Gedenkkultur, die sich in zahllosen Denkmälern und in einem autoritären Geschichtsbild manifestierte, kam 1945 an ihr Ende. Seit dem Ende der nationalsozialistischen Diktatur steht bei der Gedenkkultur die Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit im Vordergrund und dabei die Frage, wie an die Opfer des Nationalsozialismus gedacht und wie an die Verbrechen erinnert werden soll. • In Heuss’ Rede zeigen sich bereits die zentralen Elemente, die bis heute die historische Erinnerung in der Bundesrepublik bestimmen: Als Bundespräsident versteht sich Heuss als moralische Autorität, die mit ihren Reden die Deutschen zur Selbstbesinnung auffordern und gegenüber dem Ausland eine verantwortungsbewusste, auf Versöhnung zielende Haltung einnehmen will. Alle folgenden Bundespräsidenten verstehen bis heute ihr Amt in eben diesem Sinne. Heuss’ Aufforderung, die Erinnerung wachzu halten und Lehren aus der Geschichte zu ziehen, ist Bestandteil fast jeder Gedenkrede zum Nationalsozialismus. Vor allem aber verdeutlicht er mit seinem persön lichen Appell, die „Sprache der Steine“ zu verstehen, Zielsetzung und Funktion der modernen Gedenkkultur: Jeder Einzelne soll sich mithilfe eines Denkmals an die Vergangenheit – an die Opfer ebenso wie an die Täter – erinnern, dadurch Lehren aus der Vergangenheit ziehen und als Mahnung für die Zukunft verstehen. 32015_1_1_2015_Kap5_470-497.indd 489 01.04.15 10:42 Nu r z u Pr üf zw ec ke n Ei ge nt um d es C .C . B uc hn er V er la gs | |
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