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109Umgang mit Texten und Medien Berlin – Aspekte einer Metropole 5 10 15 20 25 30 Ulrike Sterblich, Jahrgang 1970, ist zu Zeiten des geteilten Deutschlands in West-Berlin aufgewachsen. In ihrem Buch „Die halbe Stadt, die es nicht mehr gibt – Eine Kindheit in Berlin (West)“ erzählt sie von ihrer Kindheit und Jugend in den achtziger Jahren des 20. Jahrhunderts auf jener „Insel im Osten“, die West-Berlin damals inmitten der ehemaligen DDR darstellte. Sie beschreibt auch ihr Lebensgefühl als Zwanzigjährige kurz nach dem Mauerfall. Plötzlich war es dann ja möglich, den Osten einfach so zu betreten. Man musste sich keinVisum besorgen in einem der tris ten „Büros für Besuchsund Reiseangelegenheiten“ (BFBR) und sich auch nicht mehr durch ganz merkwürdig kulissenhafte Räume an hinter Glasscheiben sitzenden Kontrolleuren in grauen Uniformen vorbeischieben, die mit mindestens so viel willkürlicher Macht ausgestattet waren wie ein Berliner Busfahrer. Nachdem man also ohne diese zweifelhaften Kicks einfach so nach drüben konnte, kam natürlich schnell die Frage auf, wo man vielleicht mal ausgehen könnte, abends in Ost-Berlin. Das war, bevor die vielen Wessis1 aufkreuzten und da was aufmachten, diese ganzen Bars und diese Clubs. Es hieß, man solle nach Prenzlauer Berg fahren, da gäbe es auf jeden Fall ein paar Läden, in denen die Jugend tanzt und trinkt, so um den Senefelderplatz herum. Ich notierte mir die beiden Namen und stellte dabei fest, dass Ost-Berlin ganz normal mit drin war in meinem zerfledderten2 Falk-Plan. Das war mir jahrelang überhaupt nicht aufgefallen. Entsprechend unzerfleddert war der rechte Teil vom Stadtplan. Der Senefelderplatz ließ sich einfach über das Straßenverzeichnis finden, so wie die Plätze im Westen auch. Der einzige Unterschied war, dass die Häuserblocks auf der Westseite rosafarben und im Osten grau eingezeichnet waren. Als Holger und Mariola3 mich abholten, setzte ich mich mit dem Falk-Plan auf den Beifahrersitz neben Holger. Mariola stieg hinten ein, obwohl es ihr Auto war und sie sonst immer fuhr. Sie wirkte etwas lustlos. Wir wollten auf jeden Fall durchs Brandenburger Tor in den Osten fahren, aber das war noch gar nicht möglich. Wir fuhren also doch nicht auf jeden Fall durchs Brandenburger Tor, sondern daran vorbei und dann durch den offenen Grenzübergang Invalidenstraße. Danach verfuhren wir uns sofort. Zwar hatte Ulrike Sterblich Danach: Prenzlauer Berg Ulrike Sterblich 2 Aufgaben: Seite 117 1 der Wessi: Bezeich nung für einen West deutschen im Gegen satz zum „Ossi“, dem Ostdeutschen 2 zerfleddert: unansehnlich und eingerissen 3 Mariola ist Polin. N u r zu P rü fz w e c k e n E ig e tu m d e s C .C . B u c h n e r V e rl a g s | |
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