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Dienstags bei Morrie 39 1 Besprecht, was Morrie meint, wenn er sagt: „Jeder weiß, dass er sterben wird, aber niemand glaubt es.“ ➜ M1 2 Beschreibt, wie man sich Morrie zufolge auf den Tod vorbereiten kann. ➜ M1 3 Arbeitet heraus, wie sich Morrie insbesondere in den letzten Monaten verändert hat. ➜ M2 4 Diskutiert, was es für uns Menschen bedeuten würde, wenn wir immer so leben würden, als sei heute unser letzter Tag. ➜ M2 A u fg a b e n Lerne, wie man stirbt „Hast du viel über den Tod nachgedacht, bevor du krank wurdest?“, fragte ich. „Nein“, sagte Morrie lächelnd. „Ich war wie alle anderen. Einmal sagte ich in einem Moment der überschwänglichen Freude zu einem Freund: ‚Ich werde der gesündeste alte Mann sein, dem du je begegnet bist!‘“ „Wie alt warst du?“ „Über sechzig.“ „Also warst du optimistisch.“ „Warum nicht? Wie ich schon sagte: Niemand glaubt wirklich, dass er sterben wird.“ „Aber jeder kennt jemanden, der gestorben ist“, sagte ich. „Warum ist es so schwer, über das Sterben nachzudenken?“ „Weil“, fuhr Morrie fort, „die meisten von uns wie Schlafwandler durch die Gegend laufen. Wir kosten das Leben nicht voll aus, weil wir ständig im Halbschlaf sind und Dinge tun, von denen wir glauben, wir müssten sie tun.“ „Und all das verändert sich durch die Konfrontation mit dem Tod?“ „Oh ja. Du streifst all das unnütze Zeug ab und konzentrierst dich auf das Wesentliche. Wenn du erkennst, dass du sterben wirst, dann siehst du alles mit ganz anderen Augen.“ Er seufzte. „Lerne, wie man stirbt, und du wirst lernen, wie man lebt.“ Ich bemerkte, dass er jetzt zitterte, wenn er seine Hände bewegte. Seine Brille hing ihm am Hals, und als er sie sich an die Augen hob, rutschten die Bügel an seinen Schläfen herum, als versuchte er, sie in der Dunkelheit jemand anderem aufzusetzen. Ich langte hinüber, um ihm zu helfen, die Bügel über seine Ohren zu schieben. „Danke“, flüsterte Morrie. Er lächelte, als meine Hand seinen Kopf streifte. Der geringste menschliche Kontakt machte ihn glücklich. „Mitch. Kann ich dir etwas sagen?“ „Natürlich“, sagte ich. „Möglicherweise gefällt es dir nicht.“ „Warum nicht?“ „Tja, die Wahrheit ist, wenn du wirklich auf jenen Vogel auf deiner Schulter hören würdest, wenn du akzepM2 5 10 15 20 25 30 35 40 45 50 55 60 65 70 tieren würdest, dass du jederzeit sterben kannst — dann wärst du vielleicht nicht so ehrgeizig, wie du jetzt bist.“ Ich zwang mich zu einem kleinen Lächeln. „Die Dinge, auf die du so viel Zeit verwendest – all diese Arbeit, die du machst – erscheinen dann vielleicht nicht so wichtig. […] Wir sind allzu sehr mit materialistischen Dingen beschäftigt, und sie befriedigen uns nicht. Die liebevollen Beziehungen, die wir haben, das Universum um uns herum – wir nehmen diese Dinge als selbstverständlich hin.“ Er nickte in Richtung des Fensters. „Siehst du das? Du kannst da rausgehen, nach draußen, jederzeit. Du kannst die Straße raufund runterrennen und verrückt spielen. Ich kann das nicht. Ich kann nicht rausgehen. Ich kann nicht rennen. Ich kann nicht da draußen sein […]. Aber weißt du was? Ich weiß jenes Fenster mehr zu schätzen als du.“ „Zu schätzen?“ „Ja. Ich schaue jeden Tag aus diesem Fenster hinaus. Ich bemerke die Veränderung in den Bäumen, sehe, wie stark der Wind weht. Es ist, als könnte ich durch jene Fensterscheibe sehen, wie die Zeit vergeht. Weil ich weiß, dass meine Zeit fast abgelaufen ist, fasziniert mich die Natur, als sähe ich sie zum ersten Mal.“ Er stockte, und einen Moment lang saßen wir beide nur da und schauten aus dem Fenster. Ich versuchte zu sehen, was er sah. Ich versuchte, die Zeit und die Jahreszeiten zu sehen und wie mein Leben im Zeitlupentempo verging. Morrie ließ seinen Kopf ein wenig zur Seite sinken. Vielleicht fragte er einen imaginären kleinen Vogel, ob heute sein letzter Tag sei. M1/M2: Mitch Albom, S. 97-103 Nu r z P rü fzw e ke n Ei g nt um d es C .C . B uc n r V rla gs | |
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