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143Mit Material arbeiten 1. Beschreibe die Haltung von Dr. Kloos (M 1). Verfasse aus deiner Sicht ein Antwortschreiben auf seinen Brief. 2. Erläutere, wie sich Dr. Kloos seiner Verantwortung entziehen konnte (M 2). 3. Recherchiere, wie heute in Thüringen an die Opfer der „Kindereuthanasie“ erinnert wird. Halte die Informationen in deinem Portfolio fest. „Kindereuthansie“ – auch in Thüringen In Thüringen wurden mindestens 630 Patienten der vier staatlichen Heilanstalten (Blankenhein, Hildburghausen, Pfafferode bei Mühlhausen und Stadtroda bei Jena) im Rahmen der „Aktion T4“ getötet. In Stadtroda wurde im Herbst 1942 eine „Kinderfachabteilung“ gegründet, in der allein zwischen Anfang 1943 und April 1945 über 130 Kinder verstarben. In der Regel fand die „Euthanasie“ der Kinder geheim und verdeckt statt. Deshalb gab es immer wieder ungläubige und teils argwöhnische Anfragen der Eltern, aber auch vereinzelt der Jugendämter zu Todesfällen. M 1 Der „Fall Karl XXX“ Am 16. Februar 1942 verstirbt der zehnjährige Karl XXX, der in der Landesheilanstalt in Stadtroda stationär betreut worden ist. Daraufhin schreibt die Kreisfürsorgerin des Jugendamtes Saalfeld dem verantwortlichen Direktor der Anstalt, Dr. Gerhard Kloos, am 21. Februar 1942: Ich frage an, warum mir die ernste Erkrankung des Kindes sowie sein Tod nicht mitgeteilt wurden. Ich bitte, mir sofort Folgendes zu beantworten: 1. Seit wann ist Karl XXX erkrankt gewesen? 2. Welche Erkrankung lag vor? 3. Was hat den Tod herbeigeführt? [...] Es berührt das Jugendamt eigentümlich und es ist uns unverständlich, dass Ihre Anstalt diesen Fall nicht ordnungsgemäß erledigt hat. Dr. Gerhard Kloos antwortet am 23. Februar 1942: Ich sehe [...] nicht ein, weshalb Sie sich berechtigt glauben, mir persönlich (nicht bloß meiner Dienststelle) den schweren Vorwurf einer „nicht ordnungsgemäßen Erledigung“ des Falles Karl XXX zu machen. Wenn Sie mir mitteilen, dass der Fall Sie „eigentümlich berührt“ und Ihnen „unverständlich“ ist, so muss ich dasselbe Ihrem an mich gerichteten Briefe vom 21. 2. 1942 bekennen. Während an den Fronten rassisch hochwerdigste* deutsche Männer ihr Leben opfern, ohne dass viel Aufhebens gemacht wird, gerät in der Heimat ein Jugendamt darüber in Erregung, dass ein bildungsunfähiges, angeboren schwachsinniges Kind trunksüchtiger, nach dortigem Urteil sozial minderwertiger und menschenunwürdig verschmutzer Eltern in einer Anstalt erkrankt und stirbt, ohne dass das Jugendamt sofort unmittelbar mit der Angelegenheit befasst wurde. Mir geht, offen gesagt, auch weltanschaulich das Verständnis für eine solche Einstellung ab. Zit. nach: Susanne Zimmermann, Überweisung in den Tod. Nationalsozialistische „Kindereuthanasie“ in Thüringen, Erfurt 2005, S. 79 81 (stark gekürzt) * so im Original M 2 Verleugnung und Verdrängung 1963 – inzwischen ist Dr. Kloos (siehe M 1) Professor und Leiter des Landeskrankenhauses (Nervenklinik) in Göttingen – leitet die Staatsanwaltschaft Göttingen ein Ermittlungsverfahren gegen den Mediziner ein. Dr. Kloos wendet sich in dem Zusammenhang an Professor Dr. Erich Drechsler, den ärztlichen Direktor des Fachkrankenhauses für Neurologie und Psychiatrie Stadtroda. Drechsler, der in der NS-Zeit für das Erbgesundheitsgericht Jena tätig gewesen ist und nach 1945 politisch und berufl ich Karriere gemacht hat, schreibt: Sehr geehrter Herr Kollege Kloos! [...] Ich bestätige Ihnen gern und mit gutem Gewissen, dass Sie an der Durchführung des Euthanasieverfahrens der ehemaligen NSDAP in keiner Weise beteiligt waren. Insbesondere kann ich Ihnen versichern, dass während der Jahre 1939-1945, in denen Sie dem „Thür. Landeskrankenhaus Stadtroda“ als ärztlicher Direktor vorstanden, m. W. [meines Wissens] nach kein Patient der Euthanasie unterzogen wurde. […] Ich hoffe, dass diese Angaben als Beweismittel genügen und zu Ihrer Entlastung von dem geäußerten Verdacht beitragen mögen. Mit der Vorlage dieses Schreibens bei der Staatsanwaltschaft erkläre ich mich ausdrücklich einverstanden. Die Staatsanwaltschaft beim Landgericht Göttingen schreibt daraufhin am 16. Dezember 1963 an Professor Dr. Kloos: Im Zuge der von mehreren Staatsanwaltschaften des Bundesgebietes vorgenommenen umfassenden Überprüfung von Euthanasiemaßnahmen im Kriege sind von hier aus Ermittlungen auch hinsichtlich Ihrer früheren Tätigkeit im Landeskrankenhaus Stadtroda/Thüringen geführt worden. Diese Ermittlungen sind jetzt abgeschlossen. Sie haben keinen Anhaltspunkt dafür erbracht, dass Sie sich an den Euthanasiemaßnahmen beteiligt haben. Das Verfahren ist daher eingestellt. Zit. nach: Susanne Zimmermann, Überweisung in den Tod, a. a. O., S. 193 und 194 f. (gekürzt) 5 10 15 20 25 5 10 15 20 4493_1_1_2014_100_167_kap3.indd 143 09.04.14 13:06 Nu r z u Pr üf zw ec ke n Ei ge nt um d s C .C . B uc hn er V er la gs | |
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