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285Mit Material arbeiten 1. Beschreibe Solschenizyns Haltung zur Situation in Russland (M 2). Welche Gründe nennt er für die Lage? Sind seine Argumente stichhaltig? 2. Die „Gemeinschaft Unabhängiger Staaten“ vereinbarte eine gemeinsame Wirtschaftspolitik. Diskutiert, ob diese Politik angesichts des Zusammenbruches der Wirtschaft in allen Staaten überhaupt eine Chance hat – und welche Rolle Russland dabei zukommen dürfte. 25 30 35 5 10 15 20 M 2 „Wir stehen am Abgrund“ Der russische Schriftsteller und Nobelpreisträger Alexander Solschenizyn, der 1974 aus seiner Heimat ausgewiesen worden ist, veröffentlicht vor seiner Rückkehr in seine Heimat im Juli 1990 folgende vielbeachtete Erklärung: Wer von uns weiß heute nicht um un sere Nöte, die in verfälschten Statistiken versteckt wurden? Siebzig Jahre lang folgten wir der blind geborenen, miss ratenen marxistisch-leninistischen Utopie, verloren ein Drittel unserer Bevölkerung, sei es im Schlund eines stümperhaft und selbstzerstörerisch geführten „Vaterländischen Krieges“, sei es auf dem Richtblock. Wir verschleuderten unseren einstigen Überfl uss, vernichteten die Bauernklasse und ihre Dörfer. Wir wussten nicht mehr, was es heißt, Brot zu geben, gewöhnten der Erde ab, Frucht hervorzubringen, verwandelten sie in künst liche Meere und Sümpfe. Wir verpesteten Flüsse, Seen und Fische mit Indus trieabfällen. Wir verdarben das letzte Wasser, die Luft, den Boden mit den Dreingaben des Atomtodes […], [wir] holzten […] räuberisch unsere Wälder ab, zerstörten ihre unvergleichlichen Schätze – das nicht wiederherzustellende Eigentum unserer Enkel. Gnadenlos haben wir es ins Ausland verkauft. Wir haben unsere Frauen durch körperliche Schwerstarbeit erschöpft, haben sie ihren Kindern entrissen, die Kinder der Barbarei, der Krankheit und einer falschen Erziehung ausgesetzt. Unsere Gesundheit ist vollEstland Lettland Litauen Weißrussland Ukraine Moldawien (ab 1994) Georgien (ab1994) Armenien Aserbeidschan (1993) 1 2 3 4 5 6 7 8 9 1 2 3 10 52 4 5 3 7 5 5 7 5 7 7 Mio. Einwohner 30 33 8 13 21 13 7 2 4 % Russen Kasachstan Turkmenistan Usbekistan Tadschikistan Kirgistan Russland Frühere Sowjetunion Gemeinschaft Unabhängiger Staaten 10 11 12 13 14 15 16 4 23 6 4 146 293 , , , , , 4 3 9 4 9 (1991) Mio. Einwohner 35 10 5 6 16 89 51 % Russen , , , , 8 5 5 5 , , , , , , 14 12 1198 7 4 5 3 2 1 6 10 15 13 M 1 Die frühere Sowjet union und die Staaten der GUS. Stand: 1998. ständig zerrüttet, und es gibt keine Arzneien. Wir haben schon längst vergessen, wie man sich gesund ernährt. Millionen Menschen sind obdachlos, eine völlige Rechtlosigkeit hat das Land ganz und gar überfl utet, und wir klammern uns nur an eins: Man soll uns nicht auch noch das ständige Besäufnis nehmen. Doch der Mensch ist so beschaffen, dass er all diese Unsinnigkeit, all dieses Unheil ein Leben lang erträgt. Aber wehe, jemand wagt es, unsere Nation zu beleidigen! Dann hält uns nichts in unserer althergebrachten Demut. In kühnem Zorn ergreifen wir Steine, Stöcke, Lanzen, Gewehre und stürzen uns auf die Nachbarn, um ihre Häuser anzuzünden und sie selber totzuschlagen. So ist der Mensch! Nichts kann uns davon überzeugen, dass unser Hunger, unsere Armut, unser frühes Sterben, unsere missgebildeten Kinder – dass diese Nöte Vorrang haben vor unserem Nationalstolz! Alexander Solschenizyn, Rußlands Weg aus der Krise. Ein Manifest, München 1990, S. 7 f. (übers. von Hedwig Pross) 4493_1_1_2014_272_321_kap6.indd 285 07.04.14 14:19 Nu r z u Pr üf zw ec ke n Ei ge tu m d s C .C . B uc hn er V er la gs | |
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