Volltext anzeigen | |
Lerntipp 289 Über den „Fall der Mauer“ kannst du auch selbst Betroffene, Handelnde oder Zuschauer befragen. Du fi ndest sie in der Familie, in der Bekanntschaft, in Parteien oder im Internet. Die Befragung muss gut vorbereitet werden. Du benötigst Grundkenntnisse des Ereignisses. Ein Zettel mit persönlichen Angaben zum Interviewpartner und einigen Leitfragen hilft dir, das Gespräch zu führen und die Informationen zu ordnen. Fotos aus der Zeit, an die sich Erinnerungen knüpfen, sind ergiebige Gesprächsanlässe. Höre konzentriert zu und frage an unklaren Stellen sofort nach. Berücksichtige immer auch, dass das Gedächtnis trügen kann. Nachfragen kann dann manchmal weiterhelfen. Nur so kannst du den Dingen auf den Grund gehen. Ein Hilfsmittel für Befragungen ist das Diktiergerät. Damit kannst du alles festhalten, was gesagt wurde. Aber du kannst in zu vielen Einzelheiten leicht „ertrinken“, das heißt, du musst aus zu vielen allgemeinen Aussagen die für dein Thema wichtigen mühsam heraussuchen. Eine andere Möglichkeit ist es, Stichworte per Hand oder Laptop mitzuschreiben und erst später auszuformulieren. Dabei kann dir allerdings auch etwas entgehen. Deinen Text solltest du deinem Interviewpartner zur Überprüfung vorlegen. Beachte: Jeder Gesprächspartner kann dir nur aus seiner persönlichen Sicht berichten. Ein anderer Zeitzeuge hat vielleicht dieselben Ereignisse anders wahrgenommen. Vergleiche daher die Aussagen mit anderen Quellen. 1. Vergleiche und erkläre die Reaktionen der drei Zeitzeugen (M 1). 2. Suche weitere Zeitzeugenberichte. Bestimme zuvor einen Adressaten kreis (Politiker, Jugend liche, Frauen …). Erstelle aus den Berichten eine kleine Dokumentation für dein Portfolio. Zeitzeugen befragen ˘ Lesetipps: • Rolf Steininger/Heribert Schwan (Hrsg.), Mein 9. November 1989, Düsseldorf 2009 • Alfred Neven DuMont (Hrsg.), Mein 9. November. Der Tag, an dem die Mauer fi el, Köln 2009 ˘ Internettipps: Zeitzeugenberichte, Fotos, Tonund Filmdokumente zum 9. November fi ndest du unter • www.chronik-der-wende.de • www.wir-waren-so-frei.de • www.zeitzeugenportal8990.de • http://1989.dra.de • www.gedaechtnis-der-nation.de M 1 „Keine Experimente mehr!“ In einem Bericht von einer Demonstration in Leipzig vom 20. November heißt es: Am allerschönsten in meinem ganzen Leben war der 9. November. […] Wir gingen zur Friedrichstraße, weil sie im Fernsehen gesagt hatten, dass die Grenze aufgeht. Wir wollten es nicht glauben, und meine Mutter hatte gesagt: „Wenn ihr rüberdürft – ihr geht nicht! Wer weiß, ob das nur für die Ausreiser ist, und ihr dürft vielleicht nicht zu rück.“ Dann haben die Menschen dort mit den Grenzern diskutiert. Und Punkt null Uhr kam ein Oberst und sagte: „Die Grenze ist offen.“ Dann sind wir zum [Bahnhof] Zoo gefahren. […] Als wir da ausstiegen, das war ein Auf atmen in mir – jetzt bist du wirklich in der Welt. Die Gedächtniskirche bei Nacht, das war so beeindruckend. Dann kamen die ganzen Ostautos. Die Leute haben getanzt auf den Autodächern mit Sekt in der Hand. Das war ganz irre. Dann bin ich zu meiner Tante, die vor drei Jahren rübergegangen war. Die wurde leichenblass, denn die dachte, wir sind abgehauen. Aber als wir ihr alles erzählten, hat sie sich sehr gefreut. Wir blieben dann bis um fünf Uhr früh. Der damalige Chefredakteur der „Berliner Zeitung“, Benedict Sedlmaier, erinnert sich 1999: „Die öffnen noch heute Abend die Mauer??? Das kann doch nicht wahr sein!“ […] So lebte ich meinen Freu den schock an diesem Abend am Redak tions schreibtisch aus: Eingedeckt von den Reporter-Berichten über den Mauerfall, unterbrochen von Blitz-Besuchen freudetrunkener Politiker, überfallen mit „Congratulation to the Ber liners“-Telefonaten aus den USA, gerührt vom Anruf der urlaubenden Ehefrau aus dem Westen: „Ich kehre noch heute nach Berlin zurück.“ Horst Linke, ein ehemaliger DDR-Offi zier aus Thüringen, erzählt um 1992 einem Journalisten: Ich war in dieser Nacht „Offi zier vom Dienst“ im Regiment Plauen gewesen, da haben sie am späten Abend im Radio gemeldet, dass die Grenzen offen sind. Am nächsten Morgen bin ich zurück nach Probstzella gefahren, immer am Schutzstreifen entlang, weil ich gedacht habe, dass da die Straßen noch nicht so verstopft sind; bin da langgefahren und hab glückliche Gesichter gesehen. Die Leute waren alle begeis tert. Ein bissl was Befreiendes war es schon. Ich hab mich auch gefreut. Als ich im Stau stand, bin ich ausgestiegen und hab mit den Leuten gesprochen. Ich hatte Uniform an, aber die waren freundlich. Mich hat keiner beschimpft oder was. Wir waren ja alle irgendwie froh, ich weiß auch nicht … Erster Text zit. nach: Vera-Maria Baehr, Wir denken erst seit Gorbatschow, Recklinghausen 1990, S. 34 f. Zweiter Text zit. nach: Hans-Hermann Hertle/Kathrin Elsner, Mein 9. November, Berlin o. J. [1999], S. 224. Dritter Text zit. nach: Roman Grafe, Die Grenze durch Deutsch land, Berlin 2002, S. 360 5 10 15 20 25 30 35 40 4493_1_1_2014_272_321_kap6.indd 289 07.04.14 14:19 Nu r z u Pr üf zw ec k n Ei ge nt um d es C .C . B u hn er V er la gs | |
![]() « | ![]() » |
» Zur Flash-Version des Livebooks |