Volltext anzeigen | |
169 Wie geht es weiter? Was hat Fina eigentlich vor und wie lange kann sie es noch vor ihrem Vater verheimlichen? Was wird passieren, wenn ihr Vater für sie einen „anständigen Kerl“ fi ndet, wo sie doch einen anderen liebt? Und wie ändert sich Finas Leben, als sie ihrem Vater bei einem Schmuggelgeschäft helfen soll, das auffl iegt? Martina Sahler: Der Duft von Lavendel. Thienemann Verlag, Stuttgart 2011 Liefen die Geschäfte zufriedenstellend, verhielt sich ihr Vater still, löffelte stumm die Mahlzeiten in sich hinein, verbrachte die Tage bei seinen Handelspartnern und auf seinen Geheimwegen und trug am Abend grölend mit seinen Kumpanen das Geldsäckel ins benachbarte Wirtshaus. […] Liefen die Geschäfte schlecht, lamentierte der Vater von morgens bis abends. Schimpfte wie ein Rohrspatz auf die Franzosen, die so großmännisch in Köln eingefallen waren, damals, im Jahr 1794, und allen Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit versprochen hatten. „Was ist davon geblieben, hm?“, fragte er immer mit erhobener Stimme seine Tochter, die sich jede Erwiderung verkniff, um ihn nicht noch mehr zu reizen. Sie konnte doch nichts dafür, verdammt! Sie kannte es nicht mal anders mit ihren fünfzehn Jahren. Seit ihrer Geburt war Köln französisch – Verwaltung, Währung und Amtssprache. Die meisten Leute, vor allem die jüngeren, sprachen besser Französisch als Deutsch, aber im Haus von Vater und Tochter Bartel in der Spielmannsgasse hörte man selten ein französisches Wort. Der Vater hatte sich von Anfang an geweigert, die neue Sprache zu lernen, und Fina pfl egte zu niemandem Kontakt als zu ihm, sodass sie zu ihrem Leidwesen nur die nötigsten Begriffe auf Französisch kannte und sich ansonsten des Deutschen bediente. Aber das würde irgendwann ein Ende haben. Hoffentlich, ging es Fina durch den Kopf, während sie aus den Augenwinkeln beobachtete, wie ihr Vater sich erhob. […] Mit breiten Schultern, das bärtige Gesicht ernst, stand der Vater vor ihr und fasste mit seiner Pranke unter ihr Kinn, um ihre Gesicht anzuheben. Er betrachtete sie mit seinen dunklen Augen, deren Farbe er seiner Tochter vererbt hatte, und zog die Brauen zusammen. „Mach mir keine Fisimatenten, Hühnchen.“ Fina versuchte ein Lächeln, aber sie wusste, dass es misslang. Es gab nichts zu lächeln zu diesen Zeiten. „Mach ich nicht, Vater. Du kannst dich auf mich verlassen.“ Sie strich eine Strähne ihres weißblonden, glatten Haars zurück. „Vergiss nicht, dir Zöpfe zu binden und deine Haube aufzusetzen, wenn du rausgehst.“ „Bestimmt nicht, Vater.“ „Und wenn du mir einen Franzosenlumpen ins Haus bringst, schlag ich ihn tot. Das weißt du, oder?“ Fina nickte. „Ja, das weiß ich, Vater. Sorg dich nicht.“ „Wir werden schon einen anständigen Kerl für dich fi nden, irgendwann.“ Fina schluckte schwer und nickte. Geh endlich! Ihr Vater schritt durch die Tür. Fina sah seinem schrankbreiten Rücken nach, als er die Spielmannsgasse entlangstapfte. Sie drückte die Tür zu, hielt einen Moment lang den Knauf in der Hand. Einen anständigen Kerl für dich fi nden … Die Worte des Vaters verursachten ihr, wie stets, das Gefühl, als läge ein Wackerstein in ihrem Magen. Aber dann verscheuchte sie die trüben Gedanken, stieß sich von der Tür ab und räumte die Reste vom Mahl und die Schüssel vom Tisch. Sie griff nach ihrem Schultertuch, legte es sich um Kopf und Dekolleté, schlüpfte in ihre Schuhe und zog die Handtafel mit dem an einem Faden baumelnden Stück Kreide hinter dem Ofen hervor. Einer der Händler an der Fischwaage beim Markt hatte das altertümliche Schreibutensil einen Moment zu lang unbeaufsichtigt gelassen. Fina hütete die Tafel, die sie mit fl inken Fingern eingesteckt hatte, wie einen Schatz und verbarg sie nun unter ihrer Schürze. Sie öffnete die Tür einen Spaltbreit und lugte nach rechts und nach links, in der Befürchtung, ihr Vater könnte möglicherweise noch einmal zurückkehren, weil er etwas vergessen hatte. Aber auf der staubigen Straße spielten nur die Kinder von nebenan, die mit selbst geschnitzten Holzgewehren Soldaten auf Schlachtfeldern imitierten. Zwei Hunde mit verfi lztem Fell tollten um sie herum und wurden kurzerhand zu Rössern erklärt. Zur rechten Seite fegte die Wirtsfrau mit verbissener Miene den Weg. Fina wartete, bis die Nachbarin wieder im Haus verschwand, bevor sie sich hinausschlich […]. N u r zu P rü fz w e k e n E ig e n tu m d e s C .C . B u c h n e r V e rl a g s | |
![]() « | ![]() » |
» Zur Flash-Version des Livebooks |