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203 Wie geht es weiter? Dieses Experiment gilt als die Geburtsstunde des deutschen Fußballs. Die Biografi e über Konrad Koch erzählt, wie das Spiel allmählich im Schulsport eingeführt wurde, wie Koch ein erstes Regelwerk schrieb und die ersten Fußballvereine gegründet wurden. Doch während der sogenannten Turnsperre von 1820 bis 1842, als das Turnen auf frei einsehbaren Plätzen in Preußen verboten war, verlagerte sich die Bewegung in Turnhallen und an die Schulen. Denn nur in geschlossenen Räumen und als Schulfach blieb das Turnen legal. Die Hallen allerdings waren häufi g schlecht belüftet und beleuchtet, weshalb Koch und seine Mitstreiter mit den Spielen in der freien Natur einen Ausgleich schaffen wollten. [...] Schon bald kamen die Schüler gerne auf den Exerzierplatz. Schnell wurde neben dem Mittwochauch der Sonnabendnachmittag zum Spielen freigegeben. Die Zahl der teilnehmenden Schüler stieg 1874 auf 40 und 1875 auf 60 an. [...] Die Teilnahme war freiwillig, aber immerhin bildete sich unter den Sekundanern und Tertianern3 ein harter Kern. [...] Um den Schülern einen zusätzlichen Anreiz zu geben, entschlossen sich die Braunschweiger Lehrer zur Einführung eines Sommerturniers samt sogenannter Wettspiele. Darunter verstand man damals eine Art Freundschaftsspiel, zum Beispiel zwischen zwei Schulklassen. Ihr Nutzen oder Nachteil war eine viel diskutierte Streitfrage, weil sie das Konkurrenzprinzip sowie messund nachvollziehbare Ergebnisse einführten. Die bisher vorherrschende Leibesübung, das Turnen, kannte beides nicht. Eine Turnriege turnte miteinander, nicht gegeneinander. Wettkämpfe wurden im Turnalltag weitgehend vermieden. Und wenn sie bei Turnfesten ausnahmsweise zugelassen waren, erschloss sich die Bewertung der Teilnehmer nur dem Kenner. Doch in einem Fußballwettspiel konkurrierten zwei Mannschaften um den Sieg, der durch die Zahl der Tore für jedermann nachvollziehbar war. Diese beiden Faktoren trugen entscheidend zur Beliebtheit der englischen Spiele bei der deutschen Schuljugend bei. [...] Tatsächlich war das Schulturnen, wie es Adolf Spieß entwickelt hatte, sehr streng organisiert. Jede Spontaneität der Schüler war ausgeschlossen. Spieß hatte den Kommandoton in den Turnhallen eingeführt, indem er die Schüler ohne Geräte in geordneten Formationen antreten und üben ließ. Für Kloss („Der Drill hat unsere Armee groß gemacht“) war und blieb dieses Turnen die Grundlage der deutschen Wehrfähigkeit. Er befürchtete, die englischen Spiele könnten den Gegnern des Schulturnens in die Hände spielen. Deshalb sprach er sich mit Bestimmtheit dafür aus, „das Schulturnen nicht in die Form des Spieles zu kleiden“. Obwohl der Fußball sich in den ersten Jahrzehnten seiner Entwicklung stark mit dem Militär verbandelte, sahen manche Kritiker in ihm offenbar die Gefahr der Verweichlichung. [...] Die Turnlehrerversammlung 1876 führte nicht zum Durchbruch der englischen Spiele in den Turnverbänden. In Braunschweig machte die Eingliederung von Fußball [...] in den Schulbetrieb zwar weitere Fortschritte. Doch Koch erkannte, dass eine bloße Vorführung der Spiele nicht ausreichte. Er machte sich deshalb daran, die Vorteile der neuen englischen Spiele theoretisch zu begründen. Man kann es eine moderne Theorie der Spiele nennen, woran Koch damals arbeitete. Ende der 1870er-Jahre war sie in ihren Grundzügen komplett. Die neuen englischen Spiele waren attraktiv, weil es wirklich um Gewinnen und Verlieren ging und der Erfolg – Tor oder nicht Tor – messbar und für jedermann verständlich war. Sie passten in die Zeit, weil sie durch vergleichsweise komplexe Regeln die alten ländlichen Spieltraditionen hinter sich ließen. Und sie waren erzieherisch wertvoll im Rahmen einer modernen Reformpädagogik, die in den Jugendlichen nicht mehr bloß Befehlsempfänger in der Turnhalle sah. 3 die Jahrgangsstufen 9 bis 11 Malte Oberschelp: Der Fußball-Lehrer. Wie Konrad Koch im Kaiserreich den Ball ins Spiel brachte. Göttingen 2010, 160 Seiten N u z u P rü fz w k e n E ig e n tu m d e s C .C . B u c h n e r V e rl a g s | |
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