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277 Wie geht es weiter? Was wird Jan in der Kaiserlichen Kriegsmarine erleben? Wie wird er den Ausbruch des Weltkrieges auf einem Kreuzer im chinesischen Meer erleben? Und wie kommt er als Schiffsjunge in die Situation gegen Beduinen in der Wüste kämpfen zu müssen? tete. Mir aufl auerte. Langsam, aber entschlossen drückte ich die Klinke herunter und öffnete die Tür. Wie ich vermutet hatte, saßen an unserem Küchentisch Schupo Schultze und der Schulrektor. Sie erhoben sich mit düsten Mienen, während meine Mutter mit vom Weinen geröteten Augen auf mich zulief, mich in ihre Arme nahm und fest an sich drückte. Mir war dieser Gefühlsausbruch peinlich, und weil ich mir keine Schwäche anmerken lassen wollte, blieb ich stocksteif stehen und blickte den beiden Männern trotzig entgegen. „Jan Petersen, wir haben mir dir zu reden“, begann der Rektor ohne Umschweife. Er sprach rasselnd und betonte die Sätze in abgehackten Stücken. An der Schule wurde gemunkelt, er sei in seinen jungen Jahren lange beim Militär gewesen und hätte sich dort diese seltsame Art zu reden angewöhnt. Das musste vor Urzeiten gewesen sein, denn inzwischen hatte er keine Haare mehr auf dem Kopf und vor dem rechten Auge klemmte ein Monokel. „Du bist heute beim Unterricht unerlaubt ferngeblieben. Zum wiederholten Male. Außerdem haben deine Lehrer sich über dich beschwert. Du bist aufsässig, rebellisch und es fehlt dir in jeder Hinsicht an Disziplin. […] Du bist jetzt 15 Jahre alt, du hast bereits eine Klasse wiederholt und das Kollegium ist sich einig, dass du den Schulabschluss im kommenden Jahr nicht erreichen wirst.“ Ich verdrehte demonstrativ die Augen. […] „Besser, du lässt den Herrn Rektor mal ausreden“, wies mich Schultze zurecht, obwohl ich diesmal keine Anstalten gemacht hatte, ihn zu unterbrechen. Erstaunlicherweise sprach der Schupo recht sanft. Gar nicht in dem Befehlston, den er sonst draufhatte, wenn er uns mal wieder beim Schwänzen erwischt hatte und an den Ohren zur Schule zerrte. „Dein verstorbener Vater und ich, wir haben auch so manchen Jungenstreich ausgeheckt damals“, fügte er hinzu. „Darum habe ich den Herrn Schulleiter gebeten, trotz allem eine Lösung für dich zu suchen. Eine ehrenhafte Lösung.“ Die Neuigkeit, dass mein Vater und der Polizist als Kinder einander gekannt hatten und vielleicht sogar so etwas wie Freunde gewesen waren, verunsicherte mich etwas. Was ging hier vor? Worauf wollten die hinaus? […] Ich spürte, wie meine Ohren rot anliefen. Der Rektor achtete nicht darauf. „Es gibt nur einen Ort, wo jemand wie du Zucht und Ordnung lernen kann – das ist das Militär.“ Er legte eine kleine Pause ein, nahm mit der rechten Hand das Monokel und klemmte es fester vors Auge. Ich zuckte mit keiner Wimper. „Ich habe bereits einige meiner alten Kameraden kontaktiert“, fuhr er fort. „Es ist alles abgesprochen und in die Wege geleitet. In den ersten Wochen des kommenden Jahres trittst du als Schiffsjunge in die Reichskriegsmarine ein. Und damit du dich nicht wieder selbstständig machst, habe ich dafür gesorgt, dass du auf die S.M.S. Emden kommst. Nach China, Junge! Zu unseren Kolonien am anderen Ende der Welt.“ Er grinste mich triumphierend an. „Deine Mutter ist einverstanden. Du gehörst bereits voll und ganz der Marine.“ Meine Mutter verbarg ihr Gesicht in den Händen. Sie schluchzte. Der Schupo sah mich halb verlegen, halb aufmunternd an. Der Rektor rieb sich die Hände. Und ich? Ich war sprachlos. Innerhalb weniger Minuten war ich vom schwänzenden Schüler zum Mitglied der Kaiserlichen Kriegsmarine geworden. Schon bald würde ich das graue Kiel eintauschen gegen das exotische Tsingtao. Ich konnte es kaum fassen – mein ewiger Traum war Wirklichkeit geworden. Ich hatte es doch gewusst. Die ganze Zeit über hatte ich keinen Zweifel gehabt. Und nun war es endlich soweit! Alles, was mir nun noch fehlte, war der Krieg, von dem viele schon unter der Hand sprachen, auf den einige warteten und den manche herbeisehnten. Dann würde eine Zeit der Helden anbrechen. Und ich war einer von ihnen … Olaf Fritsche: Wüstenmatrosen. Oetinger, Hamburg 2012 N u r zu P rü fz w c k e n ig e n tu d e s C .C . B u c h n e r V e rl a g s | |
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