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35Der Sonderfall: die kommunistische Diktatur in der Sowjetunion sicherzustellen, gestand Stalin 1935 jeder Bauernfamilie einen halben Hektar Land und Kleinvieh zur privaten Nutzung zu. Hier wurde seither das Gros an Gemüse, Früchten, Fleisch und Milch produziert. Dieser „Kleinkapitalismus“ stützte das System der Kolchosen, das für sich allein nicht funktionsfähig schien. Der Große Terror Der Aufbau des Sozialismus bis Mitte der 1930er-Jahre hatte in der Sowjetunion für einen tief greifenden Wandel gesorgt. Eine massive Bildungsoffensive, die den Analphabetismus nahezu halbierte und neue Aufstiegsmöglichkeiten schuf, und die anhaltende Urbanisierung veränderten den Charakter des Landes nachhaltig. Gleichzeitig waren die Verstaatlichung des Agrarsektors und die rücksichtslose Industrialisierung vom Ausbau einer Geheimpolizei begleitet, die jeden Sowjetbürger verhaften, in Lager verbringen oder ermorden konnte. In der eigenen Partei wurde daher Kritik an Stalins Politik laut, 1934 hätte ihn der XVII. Parteitag der KP beinahe nicht wiedergewählt. Während Stalin seither das Tempo der Umwälzungen in Wirtschaft und Gesellschaft drosselte, ging er daran, die Widersacher und Konkurrenten in den eigenen Reihen auszuschalten. Ende 1934 verhängte Stalin Notstandsmaßnahmen, die den unbeschränkten Zugriff auf Personen sowie deren standrechtliche Verurteilung und Exekution erlaubten. Eine neue Terrorwelle erfasste das Land. Dabei sollten nicht länger Gegner des „Systems“ ausgeschaltet werden, vielmehr ging es um die Festigung von Stalins persönlicher Macht. Prominente Kritiker Stalins und Veteranen der Revolution von 1917 wurden in den Jahren 1936 1938 Opfer von Schauprozessen. Die Anklagen waren erfunden, das Urteil stand von vornherein fest. Ähnlich verfuhr man mit Führungskräften in Wirtschaft, Verwaltung und Militär. So wurden beispielsweise mehrere Zehntausend Offi ziere entlassen, viele von ihnen erschossen. Historiker vermuten heute, dass Stalin mit der Ausschaltung der Armeespitze jegliches Risiko eines Militärputsches ausschließen wollte. Die Organe für Stalins „Säuberungen“ waren das Volkskommissariat für Innere Angelegenheiten (russ. NKWD) sowie die Geheimpolizei (russ. OGPU, Nachfolgerin der Tscheka). Für den Strafvollzug gab es neben den regulären Gefängnissen die berüchtigten Arbeitslager in entlegenen Gegenden. Sie waren schon unter Lenin eingeführt worden und vermehrten sich in den Dreißigerjahren um ein Vielfaches. Eine zentrale Behörde, der GULag, organisierte seit 1930 ein Lagersystem, das um 1940 etwa zwei Millionen Insassen umfasste. 1937/38 erreichte der Terror seinen Höhepunkt, als er sich zum Massenterror ausweitete. Zur Zielscheibe wurden insbesondere nationale und gesellschaftliche Minderheiten, die man der Spionage, Sabotage oder des Umsturzes verdächtigte. Insgesamt kam es – nach Schätzungen – zu etwa 2,5 Millionen Verhaftungen, davon endeten 680 000 Fälle mit Hinrichtung. Ziel dieser stalinistischen Herrschaftsmethoden war jedoch nicht nur die Ausschaltung von „Volksfeinden“ und die Besetzung wichtiger Ämter mit Anhängern Stalins. Es ging auch darum, die Bevölkerung durch Gewalt gefügig zu machen und „Sündenböcke“ für Fehlentwicklungen in Wirtschaft und Staat vorweisen zu können. Der Terror entwickelte eine Eigendynamik, der zuletzt die Führung des NKWD selbst zum Opfer fi el. Gleichwohl behielt Stalin stets die Kontrolle und schränkte die Welle der Gewalt seit 1939 deutlich ein. Inzwischen gab es niemanden mehr, der dem Diktator noch gefährlich werden konnte. i Zwangsarbeit bei Frost. Foto (Ausschnitt) aus dem Winter 1931/32. An dem 240 Kilometer langen Weißmeer-Ostsee-Kanal arbeiteten von August 1931 bis März 1933 zwischen 60 000 und 120 000 Häftlinge. Zumeist handelte es sich dabei um entkulakisierte Bauern, die mit Schaufeln, Spitzhacken, Hämmern und Schubkarren die Arbeit verrichteten. Mehr als 20 000 Menschen kamen bei dieser menschenunwürdigen und harten Tätigkeit ums Leben. Nu r z u Pr üf zw ec en Ei ge tu m d s C .C .B uc hn er V er la gs | |
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