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211Mit Material arbeiten M 1 Adenauer antwortet In seiner ersten Regierungserklärung vom 20. September 1949 spricht Bundeskanzler Konrad Adenauer eine Entschädigung für die jüdischen Opfer des Nationalsozialismus nicht an. Am 25. November 1949 führt er ein Interview mit der „Allgemeinen Wochenzeitung der Juden“. Auf die Frage, was die Bundesregierung für die Wiedergutmachung tun wolle, antwortet Adenauer: Die moralische Wiedergutmachung ist ein Teil unseres rechtsstaatlichen Wiederaufbaus. Die Bundesregierung wird aufmerksam über die Einhaltung des Grundrechtartikels wachen, der es verbietet, irgendjemand wegen seiner Abstammung, seiner Rasse oder seines Glaubens zu benachteiligen. Ich möchte keinen Zweifel darüber lassen, dass die Schändung jüdischer Kultstätten und die Verwüstung jüdischer Friedhöfe, die leider in den vergangenen Jahren immer noch vorgekommen sind, ohne Nachsicht geahndet und bestraft werden. […] Wir werden jeden Antisemitismus nicht nur bekämpfen, weil er uns innenund außenpolitisch unerwünscht ist, sondern weil wir ihn aus Gründen der Menschlichkeit mit aller Entschieden heit ablehnen. […] Ihre besondere Aufmerksamkeit wird die Bundesregierung dem Ausgleich der den jüdischen Staatsangehörigen zugefügten wirtschaftlichen Schäden widmen. Die bestehende Gesetzgebung bedarf hier mancher Verbesserung und Ergänzung. Der Staat Israel ist die nach außen sichtbare Zusammenfassung der Juden aller Nationalitäten. Die Bundes regierung beabsichtigt, dem Staat Israel Waren zum Wiederaufbau im Werte von 10 Millionen DM zur Verfügung zu stellen, und zwar als ers tes unmittelbares Zeichen dafür, dass das den Juden in aller Welt von Deutschen zugefügte Unrecht wiedergutgemacht werden muss. Zit. nach: Werner Bührer (Hrsg.), Die Adenauer-Ära. Die Bundes republik Deutschland 1949-1963, München – Zürich 1993, S. 102 5 10 15 20 25 M 2 Die Bundesregierung erklärt Am 27. September 1951 gibt Konrad Adenauer folgende Regierungserklärung ab: Die Bundesregierung und mit ihr die große Mehrheit des deutschen Volkes sind sich des unermesslichen Leides bewusst, das in der Zeit des Nationalsozialismus über die Juden in Deutschland und in den besetzten Gebieten gebracht wurde. […] Die Bundesregierung wird für den baldigen Abschluss der Wiedergutmachungsgesetzgebung und ihre gerechte Durchführung Sorge tragen. Ein Teil des iden tifi zierbaren jüdischen Eigentums ist zurückerstattet worden; weitere Rückerstattungen werden folgen. Hinsichtlich des Umfanges der Wiedergutmachung – in Anbetracht der ungeheuren Zerstörung jüdischer Werte durch den Nationalsozialismus ein sehr bedeutsames Problem – müssen die Grenzen berücksichtigt werden, die der deutschen Leistungsfähigkeit durch die bittere Notwendigkeit der Versorgung der zahllosen Kriegsopfer und der Fürsorge der Flüchtlinge und Vertriebenen gezogen sind. Die Bundesregierung ist bereit, gemeinsam mit Vertretern des Judentums und des Staates Israel, der so viele heimat lose jüdische Flüchtlinge aufgenommen hat, eine Lösung des materiellen Wiedergutmachungsproblems herbeizuführen, um damit den Weg zur seelischen Bereinigung unendlichen Leides zu erleichtern. Sie ist tief davon durchdrungen, dass der Geist wahrer Menschlichkeit wieder lebendig und fruchtbar werden muss. Diesem Geist mit aller Kraft zu dienen, betrachtet die Bundesregierung als die vornehmste Pfl icht des deutschen Volkes. Zit. nach: Carl-Christian Kaiser/Wolfgang Kessel, Deutscher Bundestag 1949-1999. Debatte und Entscheidung – Konsens und Konfl ikt, München 1999, S. 66 f. M 3 Adenauers Motive In einem Interview nennt Konrad Ade nauer 1966 die Motive, die ihn als Bundeskanzler dazu bewogen haben, die Aussöhnung mit den Juden zu suchen: Erstens aus einem Gefühl der Gerechtigkeit. Wir hatten den Juden […] so viel […] Unrecht angetan, wir hatten solche Verbrechen an ihnen begangen, dass sie irgendwie gesühnt werden mussten oder wiedergutgemacht werden muss ten, wenn wir wieder Ansehen unter den Völkern der Erde gewinnen wollten. Und weiter: Die Macht der Juden, auch heute noch, insbesondere in Amerika, soll man nicht unterschätzen. Und daher habe ich sehr überlegt und sehr bewusst, und das war von jeher meine Meinung, meine ganze Kraft drangesetzt, so gut es ging, eine Versöhnung herbeizuführen zwischen dem jüdischen Volk und dem deutschen Volk. Zit. nach: Julius H. Schoeps, Jüdisches Leben im Nach kriegsdeutschland, in: Andreas Nachama u. a. (Hrsg.), Jüdische Lebenswelten. Essays, Berlin 1991, S. 365 1. Arbeite die Motive Adenauers zur Wiedergutmachung und Aussöhnung mit den Juden aus den Materialien heraus (M 1 bis M 3). 2. In Teilen der Presse wurde der deutsche Wille zur Wiedergutmachung und Versöhnung bezweifelt. Begründe, was für und was gegen diese Einschätzung sprach. Berücksichtige auch Abb. 1 auf Seite 210. 5 10 15 20 25 5 10 31013_1_1_2015_164_227_kap4.indd 211 26.03.15 15:31 Nu r z u Pr üf zw ec ke n Ei ge nt um d s C .C . B uc hn r V er la gs | |
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