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291Neuordnungen der Welt und Deutschlands Wiedervereinigung Die katastrophale Lage Erst nach der Öffnung der Grenzen erkannten die Bürger in Ost und West, wie katastrophal die wirtschaftlichen und ökologischen Verhältnisse in der DDR waren. Dazu wurden die Bestechlichkeit und Misswirtschaft der alten SED-Führung sowie der Umfang der Spitzeltätigkeit des Ministeriums für Staatssicherheit bekannt. Die Menschen in der DDR reagierten verbittert. Täglich verließen über 2 000 das Land. Ihre Zukunft suchten sie in Westdeutschland. „Wir sind ein Volk!“ Ab Mitte November 1989 waren in Leipzig und vielen anderen Städten Deutschlandfahnen zu sehen und die Parole „Deutschland, einig Vaterland“ zu hören. Westliche Medien und die CDU beeinfl ussten diese Entwicklung. Auf Massenkundgebungen wurde aus dem Slogan „Wir sind das Volk!“ der Ruf „Wir sind ein Volk!“ Nicht mehr die Reform der DDR, sondern die deutsche Einheit wurde Ziel der Demonstrationen. Die im November neu gebildete Regierung unter Hans Modrow (SED) konnte gegen den Willen der Bevölkerung nicht regieren. Auf Initiative der Kirchen fanden ab dem 7. Dezember Gespräche zwischen Regierung und Vertretern der Bürgerrechtsbewegung am Runden Tisch statt. Wichtige Entscheidungen sollten von nun an bis zu den ersten freien Wahlen in der DDR gemeinsam abgesprochen werden. Der Druck wächst Der schnelle politische und wirtschaftliche Verfall der DDR und die anhaltend hohen Übersiedlerzahlen setzten die Regierenden in Ost und West unter Zugzwang. Am 17. November 1989 machte Modrow erste Vorschläge für eine engere Zusammenarbeit zwischen der DDR und der Bundesrepublik. Elf Tage später stellte Bundeskanzler Helmut Kohl im Deutschen Bundestag ein Zehn-Punkte-Programm zur Überwindung der Teilung Deutschlands und Europas vor. Darin machte die Bundesregierung eine umfassende Hilfe von un umkehrbaren Reformen in der DDR abhängig. Am Ende einer stufenweisen Zusammenarbeit beider Länder sollte die Wiedervereinigung der Deutschen stehen. Doch bereits Ende des Jahres war die DDR aus eigener Kraft zu keiner Reform mehr fähig. Unruhen waren nicht auszuschließen. Losungen bei Massendemonstrationen wie „Kommt die D-Mark, bleiben wir, kommt sie nicht, geh’n wir zu ihr!“ verstand die Bundes regierung als dringliche Aufforderung der DDR-Bürger zum Handeln. In der SPD befürwortete ein Teil der Partei um Willy Brandt die deutsche Einheit, andere zögerten, weil sie die Art der beabsichtigten Vereinigung ablehnten und den Zusammenbruch der DDR-Wirtschaft fürchteten. Die ersten freien Wahlen Hauptthema des im Dezember 1989 einsetzenden Wahlkampfes in der DDR war die Vereinigung der beiden deutschen Staaten. Während die Bürgerbewegungen (Neues Forum, Demokratie Jetzt und andere) die Einheit nicht „so schnell wie möglich, sondern so gut wie möglich“ forderten, wollte die Allianz für Deutschland* die Einheit so rasch wie möglich verwirklichen. In den ersten freien Volkskammer wahlen am 18. März 1990 entschied sich die große Mehrheit der Bürger für die schnelle Einheit. Am 12. April 1990 wählte die Volkskammer Lothar de Maizière (Ost-CDU) zum Ministerpräsidenten und bestätigte sein Kabinett der Großen Koalition aus CDU, SPD, Liberalen, DSU und DA. In seiner Regierungserklärung vom 19. April nannte de Maizière seinen Wählerauftrag: „Die Einheit muss so schnell wie möglich kommen, aber ihre Rahmenbedingungen müssen so gut, so vernünftig und so zukunftsfähig sein wie nötig.“ Eine gemeinsame Wirtschaftsordnung Der erste Schritt zur Vereinigung der gegensätzlichen Gesellschaftsund Wirt schaftssysteme war die Währungs-, Wirtschaftsund Sozialunion am 1. Juli 1990. Sie beruhte auf einem Vertrag, der von den Regierungen in Bonn und Ost-Berlin erarbeitet und von der Volkskammer sowie vom Deutschen Bundestag verabschiedet worden war. Die Soziale Marktwirtschaft und die Deutsche Mark hielten Einzug in die noch bestehende DDR. Reaktionen des Auslandes Angesichts der sich anbahnenden Vereinigung erinnerten Politiker und Bürger in Israel und Polen an die deutsche Vergangenheit, vor allem an die beiden Weltkriege, die von Deutschland ausgegangen waren, und die Ermordung der europäischen Juden. Während in den Vereinigten Staaten keine Vorbehalte gegen ein vereintes Deutschland geltend gemacht wurden, beschwor die britische Regierung für kurze Zeit die Gefahr eines Fourth German Reich herauf. Italienische und französische Politiker befürchteten ein Nachlassen des deutschen Einsatzes für die europäische Integration. Die Wiedervereinigung * Zusammenschluss aus der CDU (Ost), dem „Demokratischen Aufbruch“ (DA) und der „Deutschen Sozialen Union“ (DSU) 1 „Wir sind ein Volk.“ Papp schild (180 x 60 cm) vom Dezember 1989. 31013_1_1_2015_272_319_kap6.indd 291 26.03.15 15:34 Nu r z P rü fzw ec ke n Ei ge nt um d es C .C . B uc hn er V er la gs | |
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