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212 Politische und ideologische Voraussetzungen des Nationalsozialismus Es dreht sich nicht darum, dass im zukünftigen Parlament die Hitlerleute in der Mehrzahl sind und die anderen, mit denen die Abgeordneten in langen Redeschlachten herumlaufen, überstimmen. Es dreht sich darum, dass überhaupt kein Parlament mehr da ist, dass kein Zentrum und keine Deutschnationalen und keine Sozialisten mehr existieren. Es dreht sich darum, dass keine Abstimmungen mehr stattfi nden, sondern nur noch Beratungen des Ständestaates: Bestimmen wird überall ein Verantwortlicher, der nur nach oben Verantwortung trägt. Vom obersten Führer bis herunter in die unterste Blockstelle ist alles durchorganisiert. Wahlen werden nicht mehr notwendig sein. Denn jede verantwortliche Stelle wählt sich in ihrem Verantwortungskreis ihre Leute selber aus. Die jetzige Regierung mag mit derartigen Plänen einige gemeinschaftliche Linien haben, Hitler will trotzdem etwas ganz anderes als die Regierung. Die jetzige Regierung strebt mehr auf frühere Formen zurück, wie es der Tradition ihrer Zusammensetzung entspricht, Hitler hat mit den alten Formen gar nichts zu tun. Die beiden werden sich nur so lange vertragen, als die Regierung Hitler die Wege ebnen hilft und soweit sie ihm dazu hilft. Aber die Regierung hat gar nicht im Sinn abzutreten. Im Grunde genommen möchte sie doch Hitler völlig ausschalten, indem sie ihm den Wind aus den Segeln nimmt durch die Erfüllung seiner Forderungen. Hier freilich irrt sich der Herr von Papen. Das „Baronenkabinett“ ist eben doch wesentlich etwas anderes, als sich die zu einem guten Teil revolutionären Anhänger Hitlers unter der künftigen Reichsregierung vorstellen. Und die in neuer Gestalt erscheinende SA wird für andere Ideale kämpfen und sich nicht damit zufriedengeben, den Rechtskurs und die Auffassung der Staatsaufgaben des Herrn von Papen mitzumachen […]. Ingbert Naab, Der gerade Weg. Deutsche Zeitung für Wahrheit und Recht vom 19. Juni 1932; zitiert nach: Anton Grossmann und Alfred J. Gahlmann (Hrsg.), Nationalsozialismus. Arbeitsmaterial Sekundarbereich II, München 1983, S. 31 ff. Arbeiten Sie die Intention des Verfassers heraus und fassen Sie dessen Argumente in knappen Thesen zusammen. F Veranschaulichen Sie Ingbert Naabs Blick in die Zukunft durch eine aussagekräftige Karikatur. M5 „Klare Lösung“ a) In den Aufzeichnungen von Annelies von Ribbentrop, der Ehefrau von Joachim von Ribbentrop, der 1932 einfl ussreicher Verbindungsmann zwischen konservativen Gruppen und den Nationalsozialisten gewesen ist, fi ndet sich folgendes Diktat ihres Mannes vom 27. Januar 1933: Ich habe Hitler noch nie in einem solchen Zustand gesehen; ich schlage ihm und Göring1 vor, Papen abends allein zu sprechen und ihm die ganze Situation klarzulegen. Abends spreche ich mit Papen und überzeuge ihn schließlich, dass nur die Kanzlerschaft Hitlers, für die er sich ganz einsetzen müsse, einen Sinn hätte. Papen […] erklärt, dass er sich jetzt voll und ganz zur Kanzlerschaft Hitlers bekenne, was den entscheidenden Wendepunkt in der Haltung Papens bedeutete. Papen wird sich seiner Verantwortung bewusst – drei Möglichkeiten: Entweder Präsidialkabinett […] oder Rückkehr des Marxismus unter Schleicher2 oder Rücktritt Hindenburgs. Dagegen die wirklich einzige klare Lösung: Kanzlerschaft Hitlers. Papen wird sich nun restlos klar, dass er jetzt unter allen Umständen Hitlers Kanzlerschaft durchsetzen muss und nicht wie bisher glauben darf, sich Hindenburgs auf jeden Fall zur Verfügung halten zu müssen. Diese Erkenntnis Papens ist meines Erachtens der Wendepunkt der ganzen Frage. Papen ist am Sonnabend Vormittag für 10 Uhr bei Hindenburg angesagt. b) Und zwei Tage später, am 29. Januar 1933, ist notiert: Um 11 Uhr lange Aussprache Hitler – Papen. Hitler erklärt, dass im großen Ganzen alles im Klaren sei. Es müssten aber Neuwahlen angesetzt werden und ein Ermächtigungsgesetz3 müsse kommen. Papen begibt sich sofort zu Hindenburg. Ich frühstücke im Kaiserhof mit Hitler. Die Frage der Neuwahlen wird besprochen. Da Hindenburg nicht wählen lassen will, bittet er mich, Hindenburg zu sagen, dass dies die letzten Wahlen seien. Nachmittags gehen Göring und ich zu Papen. Papen erklärt, dass alle Hindernisse beseitigt seien und dass Hindenburg Hitler morgen um 11 Uhr erwartet. Zitiert nach: Wolfgang Michalka und Gottfried Niedhart, a. a. O., S. 273 f. 1. Diskutieren Sie Papens Bedeutung für die Ernennung Hitlers zum Reichskanzler. Inwiefern kam ihm diese Lösung entgegen (siehe auch M2)? 2. Erörtern Sie, wer die Verantwortung für die Ernennung Hitlers zum Reichskanzler trug. 15 20 25 30 35 40 5 10 15 20 25 1 Hermann Göring: Siehe S. 222. 2 Kurt von Schleicher: Vgl. S. 207. Ribbentrop spielt auf Schleichers Beschäftigungspolitik an. 3 Zum Ermächtigungsgesetz siehe S. 220 und M1, S. 225. 4677_1_1_2015_184-217_Kap6.indd 212 17.07.15 12:06 Nu zu P rü fzw ec k n Ei ge nt um d es C .C .B uc hn r V er la gs | |
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