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222 Die Herrschaft des Nationalsozialismus in Deutschland und Europa Führung oder Chaos? Die Ausschaltung oppositioneller Gruppen schien auf den ersten Blick die Staatsmacht zu stärken, die sich nicht länger im pluralistisch-liberalen Meinungsstreit behaupten musste. Es zeigte sich jedoch, dass sich neben den Staat nun die NSDAP als „Trägerin des deutschen Staatsgedankens“ stellte. Ihre Führung war seit der Ausschaltung der anderen Parteien unangefochten. Die Aufgabe der NSDAP bestand nun nicht länger in Opposition und Straßenkampf, sondern in der Erfassung aller Lebensbereiche, mit dem Ziel einer totalitären Herrschaftsübernahme. Die Partei durchdrang die Gesellschaft und trat damit in Konkurrenz zu den staatlichen oder kommunalen Institutionen. Die Folge war ein undurchsichtiger Wirrwarr von Kompetenzen (u M4). Während der Staat üblicherweise das öffentliche Leben auf der Basis von Gesetzen reglementiert und gestaltet, trafen jetzt Parteiorganisationen oder deren Repräsentanten neben der staatlichen Bürokratie Einzelentscheidungen. Sie versuchten beständig, die Verwaltung in ihrem Sinn zu beeinfl ussen. Vielfach verschmolzen Parteiund Staatsorganisation miteinander. So hatten die Gauleiter der NSDAP häufi g zugleich hohe Ämter in den „gleichgeschalteten“ Ländern inne, oder die Ortsgruppenleiter der Partei übernahmen gleichzeitig das Bürgermeisteramt. Die Kontrolle der öffentlichen Hand und des gesellschaftlichen Alltages ließ die Parteibürokratie ständig anwachsen. Gab es 1935 33 Gauleiter, 827 Kreisleiter, 21 000 Ortsgruppenleiter und 260 000 Zellenund Blockleiter, so betrug die Zahl dieser Funktionäre zwei Jahre später bereits 700 000. Während des Krieges waren es zwei Millionen. Charakteristisch für die Polykratie war das Entstehen zahlloser Sonderverwaltungen, die neben der staatlichen Bürokratie ein Eigenleben führten und dem „Führer“ direkt unterstellt waren. Einer solchen Behörde stand z. B. Hermann Göring ab 1936 als „Beauftragter für den Vierjahresplan“ vor. Er konnte in dieser Funktion an allen staatlichen Stellen vorbei unmittelbaren Einfl uss auf die Wirtschaft nehmen. Polykratie (von griech. poly: „viel“ und kratéin: „Macht“): Vielzahl konkurrierender Herrschaftsansprüche und Zuständigkeiten Hermann Göring (1893 1946): seit 1933 preußischer Ministerpräsident; 1933 1945 Reichsminister für Luftfahrt; 1937/38 Reichswirtschaftsminister; 1939 von Hitler offi ziell zu seinem Nachfolger ernannt; 1946 Selbstmord u Staat und Partei im „Führerstaat“. Parteienhierarchie und Staatsämter überschnitten sich sowohl in ihren Kompetenzen als auch personell: Mit zwei Ausnahmen waren z. B. alle Reichsstatthalter zugleich auch Gauleiter in ihrem Amts bereich. Literaturtipp: Norbert Frei, Der Führerstaat. Nationalsozialistische Herschaft 1933 bis 1945, München 1945 4677_1_1_2015_218-275_Kap7.indd 222 17.07.15 12:07 N zu P rü fzw ec ke n Ei ge nt um de s C .C .B uc hn er V er la gs | |
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