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226 Die Herrschaft des Nationalsozialismus in Deutschland und Europa 3. Alle Parteien waren verboten worden oder hatten sich in tiefer Ohnmacht selber aufgelöst; die meisten Verbände, wie etwa die Gewerkschaften, waren zerschlagen oder unterworfen worden. 4. Reichsrechtlich war der Einparteienstaat zugunsten der NSDAP legalisiert, der totale Lenkungsanspruch ihrer Führungsspitze befestigt worden. Wie schon diese Punkte zeigen, war die politische Landschaft in einem unglaublichen Tempo von Grund auf verändert worden. 5. Anstelle des traditionellen Föderalismus war ein rigoroser Zentralismus durchgesetzt worden, der alle Länder und ihre Landtage aufgelöst, den Berliner Direktiven freie Bahn geschaffen hatte. 6. Der Rechtsstaat lag zertrümmert da. Die Bürger waren der Willkür der Polizei, der SS, der Sondergerichtsbarkeit hilfl os preisgegeben. 7. Die Verfolgung, Vertreibung und Ermordung politischer Gegner und jüdischer Deutscher hatte auf breiter Front eingesetzt. Ernsthafte Zweifel an der Zielstrebigkeit der neuen Machthaber waren auch in dieser Hinsicht nicht mehr erlaubt. 8. In der Erbgesundheitspolitik tauchten die Umrisse einer völkischen, eugenischen Rassenpolitik auf, welche die Gesundheit des arischen „Volkskörpers“ über alles setzte und dieses Ziel durch „Ausmerze“ aller Fremdkörper erreichen wollte. 9. Die alten Machteliten, die sich eben noch als geschickte Dompteure eines Volkstribuns plebejischer Herkunft gesehen hatten, waren in abhängige Funktionseliten umgewandelt, oft in NS-Sonderorganisationen überführt oder direkt zu Parteiorganen gemacht worden. 10. Überhaupt war ein zügiger Elitenwechsel eingeleitet worden. Dieser „stürmische Personalumbau … verwandelte die Elitenstruktur der deutschen Gesellschaft“, denn die kollektive Blitzkarriere der „alten Kämpfer“, die zahlreichen neuen Verwaltungsstäbe mit Parteibuchpositionen und frühzeitig auch der Lenkungswille des SS-Ordens ließen die Umrisse einer neuen sozialen Machthierarchie erkennen. 11. Im öffentlichen Leben hatte sich der Nationalsozialismus zur monopolistischen Säkularreligion aufgeschwungen. […] 12. Vor allem aber hatte sich die charismatische Position Hitlers in Staat und Gesellschaft enorm gefestigt. Ein breiter Konsens unterstützte den „Führer“, der jede kollektive Entscheidungsbildung im Kabinett beseitigt und völlige Selbstständigkeit auch gegenüber der Koalition des 30. Januar errungen hatte. Hans-Ulrich Wehler, Deutsche Gesellschaftsgeschichte, Bd. 4: Vom Beginn des Ersten Weltkriegs bis zur Gründung der beiden deutschen Staaten 1914-1949, München 2003, S. 617-619 1. Erläutern Sie, was Wehler unter einem „omnipotenten charismatischen ‚Führer‘“ versteht. 2. Charakterisieren Sie den nationalsozialistischen Staat nach der „Machtergreifung“ mithilfe geeigneter Adjektive. 3. Stellen Sie in einer Mindmap die verschiedenen Schritte und Ebenen der „Machtergreifung“ dar. M4 Rivalität Der britische Historiker Ian Kershaw beschreibt 1998 in seiner Hitler-Biografi e, wie Hitler seine Machtposition festigt: Zusammenstöße in Fragen der Strategie, Streitereien unterschiedlicher Fraktionen und persönliche Rivalitäten traten in der NSDAP beinahe endemisch1 auf. Die endlosen Konfl ikte und Animositäten, die gewöhnlich persönliche oder taktische und keine ideologischen Ursachen hatten, machten notwendigerweise vor einem Angriff auf Hitler halt. Er griff so wenig wie möglich ein. Die Rivalität und der Wettstreit zeigten ihm nur, welcher unter seinen miteinander wetteifernden Untergebenen nach seinem eigenen sozialdarwinistischen Begriff der Stärkere sein würde. Auch unternahm er nichts, um die ideologischen Schattierungen innerhalb der Partei miteinander zu versöhnen, es sei denn, sie drohten kontraproduktive Wirkungen zu entfalten. Der Führerkult wurde akzeptiert, weil er allen Beteiligten als einziges Rezept galt. Die persönliche Treue gegenüber Hitler, ob nun aufrichtig empfunden oder einem Zwang folgend, war der Preis der Einheit. In manchen Fällen waren die NS-Führer ganz und gar von Hitlers „Größe“ und „Mission“ überzeugt. In anderen konnten sie den eigenen Ehrgeiz nur weiterhin befriedigen, indem sie dem obersten „Führer“ nach dem Munde redeten. Auf diese Weise wuchs Hitlers Herrschaft über die „Bewegung“ bis zu dem Punkt, wo er so gut wie unangreifbar geworden war. Ian Kershaw, Hitler 1889 1936, übersetzt von Jürgen Peter Krause und Jörg W. Rademacher, Stuttgart 1998, S. 380 (Übersetzung hier durch Jörg W. Rademacher) 1. Erläutern Sie, wie Hitler nach Meinung von Kershaw das „Führerprinzip“ für sich nutzte. 2. Prüfen und verbessern Sie das Schaubild auf Seite 222. 10 15 20 25 30 35 40 45 50 5 10 15 20 1 endemisch: typisch für ein bestimmtes Umfeld 4677_1_1_2015_218-275_Kap7.indd 226 17.07.15 12:07 Nu r z u Pr üf zw ck n Ei ge nt um d s C .C .B uc hn er V er la gs | |
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