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258 Die Herrschaft des Nationalsozialismus in Deutschland und Europa Reinhard Heydrich (1904 1942, bei einem Attentat in Prag ermordet): Leiter des Reichssicherheitshauptamtes (RSHA), „rechte Hand“ Himmlers, seit 1941 stellvertretender Reichsprotektor von Böhmen und Mähren und mit der „Endlösung der Judenfrage“ beauftragt, 1942 Leiter der „Wannsee-Konferenz“ Massenmord und Holocaust Vorstufe zum Völkermord: das „Euthanasie“-Programm Nach den pseudobiologischen Lehren von „Rassenhygiene“ und „Erbgesundheit“ galten alle „sozial oder rassisch Unerwünschten“ wie die Sinti und Roma und alle slawischen Völker, darunter vor allem Russen und Polen, die Zeugen Jehovas, Homosexuelle oder „Asoziale“, als „minderwertig“ und „lebensunwert“. Dazu zählten auch „erbkranke“, geistig und körperlich behinderte Menschen. Das „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ vom 14. Juli 1933 ordnete die Zwangssterilisation von Menschen mit vermeintlich verändertem Erbgut an. Ab 1935 wurden schwangere Frauen, bei denen eine „Erbkrankheit“ diagnostiziert wurde, zur Abtreibung gezwungen. Im Herbst 1939 setzte die verharmlosend als „Euthanasie“ bezeichnete Ermordung von als krank diagnostizierten Menschen ein. Tarngesellschaften organisierten die als „Aktion T4“ benannte „Vernichtung unwerten Lebens“. Ab 1940 wurden etwa 70 000 Menschen in sechs zu Tötungsanstalten umgerüsteten „Heilund Pfl egeanstalten“ mit dem Giftgas Kohlenmonoxid ermordet. Doch die Morde wurden spätestens im Frühjahr 1941 in weiten Teilen des Reiches bekannt. In der Bevölkerung regte sich öffentlicher Protest, vor allem vonseiten der Angehörigen der Opfer und auch einiger Bischöfe. Ende August 1941 ließ Hitler das „Euthanasie“-Programm offi ziell einstellen. Im Geheimen jedoch wurde die Mordaktion bis zum Kriegsende fortgesetzt. Viele tausend Kranke ließ man verhungern oder tötete sie durch Injektionen überdosierter Medikamente. Die Ermordung angeblich „unwerten Lebens“ mit Giftgasen bildete die Vorstufe zum Massenmord in den Vernichtungslagern. Besatzungsverbrechen Bereits im Herbst 1939 zeigte sich, welch neuartige Dimension der von Hitler vom Zaun gebrochene Krieg erreichen sollte, der im Osten als „Kampf um Lebensraum“ geführt wurde. Ein Großteil des eroberten Landes, vor allem das annektierte Westpolen und Teile des Generalgouvernements, sollte ins Deutsche Reich eingegliedert und mithilfe von umgesiedelten Deutschen aus den baltischen Staaten und anderen osteuropäischen Gebieten gewaltsam „germanisiert“ werden („Generalplan Ost“). Über eine Million Polen wurden aus ihrer Heimat vertrieben oder zur Zwangsarbeit ins Reich verschleppt. Wer nicht „germanisiert“ werden konnte – nach deutschen Schätzungen über 95 Prozent der polnischen Bevölkerung – sollte zu harter Zwangsarbeit herangezogen werden. Repräsentanten der polnischen Oberschicht, Intellektuelle, Geistliche, aber auch Arbeiter und Gewerkschafter wurden zu Tausenden ermordet oder in Konzentrationslager deportiert. Die jüdische Bevölkerung wurde ins überbevölkerte Generalgouvernement vertrieben, in Ghettos zusammengepfercht oder sofort erschossen. Unter der Leitung des von Heinrich Himmler neu geschaffenen und von Reinhard Heydrich geführten Reichssicherheitshauptamtes (RSHA) rückten eigens für den Angriff auf Polen aufgestellte Einsatzgruppen der Sicherheitspolizei und des SD hinter der Wehrmacht vor, um Hitlers rassenideologisches Vernichtungskonzept in die Tat umzusetzen. Auch in anderen besetzten Staaten kam es zu massenhaften Vertreibungen und zur „Germanisierung“ bestimmter Gebiete, so wurden etwa Teile Sloweniens annektiert und Zehntausende von Einwohnern vertrieben. Zum Teil wurde diese Politik der Vertreibung mit Blick auf eine gewünschte Herstellung ethnisch homogener Räume auch von Staaten praktiziert, die mit dem Deutschen Reich kollaborierten, so etwa von Italien oder Ungarn, die ihrerseits Gebiete z. B. in Jugoslawien besetzt hielten bzw. annektiert hatten. Auch aus Elsass-Lothringen, das 1940 wieder an das Reich ange „Asoziale“ : in der NS-Zeit als minderwertig geltende, „arbeitsscheue“ oder unan gepasst lebende Menschen u. a. aus sozialen Unterschichten, wie Bettler, Landstreicher, Prostituierte, Fürsorgeempfänger oder Alkoholiker „Euthanasie“ : Sterbehilfe, abgeleitet von griech. „guter“ oder „leichter Tod“ „Aktion T4“ : nach dem Verwaltungssitz der Vernichtungs aktion in der Tiergartenstraße 4 in Berlin bezeichneter Code Vernichtungslager: Im Gegensatz zu den Konzentrationslagern wurden die Menschen nach ihrer Ankunft in den Vernichtungslagern fast ausnahmslos sofort getötet. Literaturtipp: Götz Aly, Die Belasteten. „Euthanasie 1933 1945“, Eine Gesellschaftsgeschichte, Frankfurt am Main 2013 4677_1_1_2015_218-275_Kap7.indd 258 17.07.15 12:07 Nu r z u Pr üf zw ec ke n Ei ge nt um d es C. C. Bu ch r V er la gs | |
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