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260 Die Herrschaft des Nationalsozialismus in Deutschland und Europa Bis heute sind sich die Wissenschaftler uneinig, wann im engsten Führungszirkel des Regimes die Entscheidung für den Völkermord an den europäischen Juden fi el. Planung und Verwirklichung galten als „Geheime Reichssache“. Die meisten Historiker datieren diesen Entschluss auf Oktober 1941. Der letzte Schritt war eine Generalermächtigung zur vollständigen Ermordung der europäischen Juden durch Hitler im Dezember 1941. Die Verwaltung der „Endlösung der Judenfrage“ übernahm Heydrich, die Organisation der Deportationen, vor allem außerhalb des Generalgouvernements und der Sowjetunion, wurde Adolf Eichmann übertragen. Noch vor dem Überfall auf die Sowjetunion erhielten die Einsatzgruppen und Polizeieinheiten Sondervollmachten, „in eigener Verantwortung gegenüber der Zivilbevölkerung Exekutivmaßnahmen zu treffen“. Auch die Gestapo, Bataillone der Ordnungspolizei, Brigaden der Waffen-SS und Angehörige der Wehrmacht, der Zivilverwaltung sowie Freiwilligenverbände aus den besetzten Gebieten beteiligten sich an den Massakern. Ab Juni 1941 ermordeten die Einsatzgruppen in den besetzten Gebieten der Sowjetunion mindestens 900 000 Menschen (u M1). Nahezu die ganze jüdische Bevölkerung der eroberten Gebiete, Sinti und Roma, Kriegsgefangene und Kommunisten wurden durch Massen erschießungen und durch Autoabgase in LKWs ge tötet (u M2, M3). Bei der größten dieser Mordaktionen in der Schlucht von Babi Jar bei Kiew im September 1941 starben innerhalb von zwei Tagen mehr als 33 000 Juden. Insgesamt wurden rund 2,4 Millionen sowjetische Juden ermordet. Am 20. Januar 1942 trafen sich hohe Verwaltungsbeamte, SS-Offi ziere und Staatssekretäre aus dem Innen-, Justizund Außenministerium unter der Leitung von Heydrich in einer Villa am Berliner Wannsee, um die „praktische Durchführung“ der bereits begonnenen „Endlösung der Judenfrage“ zu koordinieren. Laut Konferenzprotokoll der nach ihrem Tagungsort benannten „Wannsee-Konferenz“ sollten über elf Millionen europäische Juden ermordet werden. Im Osten mündeten die Massaker und Exekutionen schon zu diesem Zeitpunkt in einen industriell betriebenen Massenmord. Bereits 1939 war auf polnischem Boden das größte Konzentrationsund spätere Vernichtungslager Auschwitz errichtet worden. Die Planungen für die Vernichtungslager gehen auf das Jahr 1941 zurück. Das erste dieser Lager wurde im Warthegau mitten im Dorf Kulmhof (Chelmno) auf Initiative des Gauleiters Arthur Greiser im Dezember 1941 eingerichtet. Mit Belzec, Sobibor und Treblinka entstanden im Jahr 1942 weitere Vernichtungslager im Generalgouvernement. Die polnischen Juden wurden nach ihrer Ankunft in Chelmno und den Vernichtungslagern fast ausnahmslos sofort getötet. Nur wenige, die man für Hilfs arbeiten benötigte, ließ man zunächst am Leben. Noch „arbeitsfähige“ Personen hatte man bereits vorher in den Ghettos für die Zwangsarbeit ausgewählt. In Belzec wurde der Massenmord im Dezember 1942 eingestellt, Sobibor und Treblinka wurden Ende 1943 geschlossen. Die Deportationszüge aus allen Teilen Europas rollten bereits seit Mitte des Jahres 1942 nach Auschwitz, ab Sommer 1943 fuhren nahezu alle Züge dorthin (u M4). Neben dem massenhaften Mord in den Gaskammern durch das Blausäurepräparat Zyklon B starben die Häftlinge dort von Beginn an auch durch extrem harte und gefährliche Zwangsarbeit, Folter, medizinische Versuche und unmenschliche Lebensbedingungen. Nahezu eine Million jüdische Opfer sind für Auschwitz dokumentiert, zwischen 870 000 und 925 000 wurden zwischen Juli 1942 und August 1943 in Treblinka ermordet, ca. 435 000 zwischen März und Dezember 1942 in Belzec, etwa 160 000 bis 200 000 von April bis Juni 1942 und von Oktober 1942 bis Oktober 1943 in Sobibor, 152 000 in Kulmhof, zwischen 80 000 und 110 000 in Lublin-Majdanek, vermutlich 65 000 in Maly Trostinez. Als seit 1944 die Ostfront näher rückte und die Lager im Osten auf Befehl Adolf Eichmann (1906 1962, hingerichtet): SS-Obersturmbannführer; seit 1939 Leiter beim RSHA, Amt IV, Referat IV D 4 „Auswanderung und Räumung“, dann Referat IV B 4 „Judenangelegenheiten“; zentraler Organisator der Deportation von drei Millionen Juden. Literaturtipp: Harald Welzer, Täter. Wie aus ganz normalen Menschen Massenmörder werden, Frankfurt am Main 52011 Auschwitz: Das Lager Auschwitz wurde nah der polnischen Stadt Os´wie˛cim im Jahr 1939 für politische Häftlinge aus Polen eingerichtet. Ab September 1941 begann der Ausbau zum größten Vernichtungs lager im deutschen Machtbereich. Dort wurden ab Mai 1942 vornehmlich jüdische Häftlinge systematisch ermordet. Außerdem entstanden mehrere große Industriebetriebe (z. B. IG Farben in Monowitz), für die die Häftlinge Zwangsarbeit leisten mussten. Bis zur Befreiung von Auschwitz am 27. Januar 1945 starben dort etwa eine Million Menschen. 4677_1_1_2015_218-275_Kap7.indd 260 17.07.15 12:07 Nu r z u Pr üf zw ec ke n Ei ge nt um d es C .C .B uc hn r V er la gs | |
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