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344 Nationale Identität unter den Bedingungen der Zweistaatlichkeit in Deutschland Erich Honecker (1912 1994): kommunistischer Politiker, baute nach 1946 die Jugendorganisation der SED, die „Freie Deutsche Jugend“, auf. 1961 organisierte er den Bau der Berliner Mauer. Ab 1971 Nachfolger Ulbrichts als SEDChef; 1976 1989 Staatsratsvorsitzender der DDR. unzufriedene, zumeist jüngere und gut qualifi zierte DDR-Bürger die baldige Schließung des Fluchtweges über West-Berlin, weshalb seit Juni 1961 täglich etwa tausend DDR-Bürger fl ohen. Mauerbau Ulbricht fürchtete einen neuerlichen Volksaufstand sowie einen wirtschaftlichen Kollaps. Nach Abstimmung mit dem sowjetischen Parteichef Nikita Chruschtschow* ließ er deshalb am 13. August 1961 eine Mauer entlang der Berliner Sektorengrenze errichten; Sperranlagen an der innerdeutschen Grenze wurden mit Beton, Stacheldraht, Minen und Selbstschussanlagen zu einem todbringenden Sicherheitssystem ausgebaut. Beim Versuch, trotz des „antifaschistischen Schutzwalls“ zu fl iehen, verloren bis 1989 über 700 Menschen ihr Leben, Tausende wurden schwer verletzt. Im selben Zeitraum wurden 71 000 Bürger als „Staatsfeinde“ oder wegen „versuchter Republikfl ucht“ zu langen Haftstrafen verurteilt. „Nischengesellschaft“ Vordergründig stabilisierten sich für annähernd 30 Jahre die inneren Verhältnisse. Dennoch behielt die große Mehrheit der Bevölkerung innere Distanz zur Regierung. Da eine Flucht nahezu ausgeschlossen war, mussten sich die DDR-Bürger mit dem Regime arrangieren. Die meisten versuchten, das Beste aus ihrer Lage zu machen, arbeiteten hart und suchten nach persönlichen Freiräumen und Nischen. Die „Nischengesellschaft“ stiftete Solidarität zwischen den gegängelten Bürgern; vielfach bestimmten aber auch Neid, Unaufrichtigkeit und Misstrauen ihre Beziehungen untereinander als Folge von Bespitzelung und Überwachung. Im Gegenzug zu dem erzwungenen Arrangement der Bevölkerung mit der DDR seit dem Bau der Mauer lockerte das Regime seine Haltung. Die 1962 eingeführte Wehrpfl icht konnte nach Forderungen der evangelischen Kirche auch ohne Waffe („Bausoldaten“) abgeleistet werden, West-Berliner durften nun ihre Angehörigen im Ostteil der Stadt besuchen und seit 1964 wurde Rentnern der Besuch von Verwandten im Westen gestattet. Im Zuge der in der Sowjetunion seit Mitte der 1950er-Jahre eingeleiteten Entstalinisierung rehabilitierte die DDR auch Abweichler in den eigenen Reihen und gewährte für etwa 15 000 politische Gefangene Amnestie. Sozialistisches Selbstbewusstsein Die wirtschaftliche Stärke der DDR und die geografi sche Lage an der Außengrenze der beiden politischen Blöcke machte die DDR zum wichtigsten Partner der Sowjetunion innerhalb des Ostblocks. Der Lebensstandard war zudem höher als in allen anderen Ostblockländern. Selbstbewusst platzierte das Regime sich selbst innerhalb der zehn wirtschaftsstärksten Industrienationen der Welt. Eine neue Verfassung hielt 1968 nicht nur den Führungsanspruch der SED fest, sondern defi nierte die DDR als „sozialistischen Staat deutscher Nation“. Walter Ulbricht behauptete zudem, die DDR sei als Modell für alle Gesellschaften im Übergang vom Kapitalismus zum Kommunismus geeignet. Damit stellte er indirekt die Führungsrolle der Sowjetunion infrage. Weil Ulbricht schließlich ohne Absprache mit Moskau die wirtschaftlichen Beziehungen mit der Bundesrepublik fördern wollte, enthob ihn die SED-Parteiführung nach Rücksprache mit der KPdSU 1971 seiner Ämter. Der neue Chef der SED war Erich Honecker, der die Führungsrolle der UdSSR ohne Vorbehalt anerkannte. Die SED sprach nun vom „real existierenden Sozialismus“, der in allen Staaten unter kommunistischer Führung erreicht sei. Damit beanspruchte die DDR keine Sonderrolle mehr. u Geschichte In Clips: Zum Mauerbau siehe Clip-Code 4677-35 Entstalinisierung: Abkehr der sowjetischen Führung von der Politik Stalins seit dessen Tod 1953. Unter dem neuen Parteichef Chruschtschow distanzierte sich die UdSSR von der Person Stalins, seiner Alleinherrschaft und seiner Wirtschaftspolitik. Kritiker kamen zu Wort, die Gefangenenlager (GULag) wurden aufgelöst, die Bevormundung der Ostblockstaaten ließ nach („Tauwetter“). Die Verbrechen der Stalin-Ära (1927 1953) durften erwähnt werden, wurden aber nicht aufgearbeitet. * Zu Chruschtschow siehe S. 490. 4677_1_1_2015_312-361_Kap9.indd 344 17.07.15 12:13 Nu r z u Pr üf zw ec ke n Ei ge nt um d s C .C .B uc h er V er la gs | |
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