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342 Nationale Identität unter den Bedingungen der Zweistaatlichkeit in Deutschland rufsverbot, Ausbürgerung oder Haft unter menschenrechtswidrigen Bedingungen. • Allgegenwart der Geheimpolizei: Das Ministerium für Staatssicherheit (MfS; umgangssprachlich Stasi) baute einen gigantischen Überwachungsapparat auf. Am Ende der SED-Diktatur verfügte das MfS über 91 000 hauptamtliche Mitarbeiter und rund 189 000 Zuträger (Spitzel) in der Bevölkerung. Ein Inoffi zieller Mitarbeiter (IM) kontrollierte im Durchschnitt 89 Einwohner. Genutzt wurden alle Mittel: Beschattung, Festnahmen und psychische „Zersetzung“ von Zielpersonen (u M2). Vom Arbeiterprotest zum Volksaufstand Die Wirtschaft der DDR rutschte 1952 in eine Krise. Immer mehr Menschen fl üchteten nach West-Berlin und in die Bundesrepublik, worauf die SED-Führung mit verstärkten Repressionen gegen Selbstständige und Privateigentümer reagierte und kleinste „Wirtschaftsvergehen“ wie „Bummeln am Arbeitsplatz“ streng ahndete. Die Zahl der Gefängnisinsassen stieg zwischen Juli 1952 und Mai 1953 von 31 000 auf 66 000 an. Als im Mai 1953 auch die Arbeitsnormen um 10,3 Prozent angehoben wurden, kam es in mehreren Städten zu Warnstreiks, Bauern traten aus den LPGs aus und vielerorts wurde vor Gefängnissen demonstriert. Auch die sowjetische Führung war beunruhigt von der ökonomischen Situation sowie der Stimmungslage in der DDR und versuchte – Stalin war am 5. März 1953 gestorben –, die Lage zu entschärfen. Nach Absprache mit der UdSSR verkündete die SED-Führung am 11. Juni 1953 den sogenannten „Neuen Kurs“: private Produzenten sollten gefördert, gefl üchtete Bauern und Selbstständige zurückgerufen und verhaftete „Wirtschaftsverbrecher“ entlassen werden. Doch die Erhöhung der Arbeitsnormen wurde nicht zurückgenommen, was Empörung in der Arbeiterschaft und weiten Teilen der Bevölkerung auslöste. Am 16. Juni protestierten Ost-Berliner Bauarbeiter gegen die Normenerhöhung. Fast alle Betriebe in Berlin schlossen sich an. Die Demonstranten verlangten freie Wahlen, den Sturz der Regierung und kündigten einen Generalstreik an. Jetzt nahm die SED-Führung die Normenerhöhung zurück, doch innerhalb weniger Stunden weitete sich am 17. Juni die Streikwelle zu einem landesweiten Aufstand der Bevölkerung gegen die SED aus. In über 700 Städten und Ortschaften beteiligten sich rund eine halbe Million Menschen an Demonstrationen, besetzten öffentliche Gebäude, Parteibüros und Dienststellen der Staatssicherheit, stürmten Gefängnisse und befreiten über 1 300 Häftlinge. Mehr als 1 000 Betriebe streikten. Die sowjetische Besatzungsmacht verhängte das Kriegsrecht und walzte mit Panzern den Aufstand nieder. Über 13 000 Menschen wurden festgenommen, 1 800 von DDR-Gerichten verurteilt und 20 Todesurteile wurden verhängt. Hunderte wurden in Lager nach Sibirien verbracht oder mussten hohe Zuchthausstrafen absitzen. Auch zahlreiche Parteifunktionäre verloren ihre Ämter. Eine zweite Säuberungswelle verordnete Ulbricht nach dem gescheiterten Aufstand gegen die sowjetische Unterdrückung in Ungarn im Oktober 1956. Obwohl die SED ihre Macht retten und weiter festigen konnte, blieb der angeblich vom Westen gesteuerte „faschistische Putsch“ das Trauma der Parteiführung. Auf der anderen Seite hatte die Bevölkerung die bittere Erfahrung machen müssen, dass Widerstand gegen das eigene Regime aussichtslos war, solange die Sowjetunion dessen Existenz garantierte. Konsumfreundliche Wirtschaftspolitik Seit 1954 verbesserten sich die Lebensverhältnisse in der DDR spürbar. Die Sowjetunion verzichtete auf weitere Reparationen und ließ viele Wissenschaftler und Techniker nach Ostdeutschland heimkehren, die bis i Aufstand. Foto vom 17. Juni 1953 (Ausschnitt). Am 17. Juni 1953 versammelten sich in der ganzen DDR Arbeiter zu Protesten gegen das Regime. Hier zerstören einige ein Grenzschild zum Westsektor Berlins vor dem „Haus der Ministerien“ – ein monumentales Gebäude, in dem die DDR 1949 offi ziell gegründet wurde. u Geschichte In Clips: Zum Volksaufstand vom 17. Juni 1953 siehe Clip-Code 4677-34 Literaturtipp: Ilko-Sascha Kowalczuk, 17. Juni 1953, München 2013 4677_1_1_2015_312-361_Kap9.indd 342 17.07.15 12:13 Nu r z u Pr üf zw ec ke n Ei ge nt um d es C .C .B uc hn r V er la g | |
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