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416 Multilateraler Interessenausgleich nach dem Dreißigjährigen Krieg von niemandem jemals unter irgendeinem Vorwand tatsächlich beeinträchtigt werden können oder dürfen. Art. VIII,2: Ohne jede Einschränkung sollen sie das Stimmrecht bei allen Beratungen über Reichsgeschäfte haben, namentlich, wenn Gesetze zu erlassen oder auszulegen, Kriege zu beschließen, Abgaben vorzuschreiben, Werbungen oder Einquartierungen von Soldaten zu veranlassen, neue Befestigungen innerhalb des Herrschaftsgebietes der Stände im Namen des Reiches zu errichten oder alte mit Besatzungen zu versehen, Frieden oder Bündnisse zu schließen oder andere derartige Geschäfte zu erledigen sind; nichts von diesen Angelegenheiten soll künftig jemals geschehen, ohne dass die auf dem Reichstag versammelten Reichsstände freiwillig zugestimmt und ihre Einwilligung gegeben haben. Insbesondere aber soll den einzelnen Ständen das Recht zustehen, unter sich oder mit Auswärtigen zu ihrer Erhaltung und Sicherheit Bündnisse zu schließen, jedoch in der Weise, dass sich solche Bündnisse nicht gegen den Kaiser, gegen das Reich und dessen Landfrieden oder insbesondere gegen diesen Vertrag richten, vielmehr so beschaffen sind, dass der Eid, durch den jeder von ihnen Kaiser und Reich verpfl ichtet ist, in allen Teilen unberührt bleibt. […] Art. XVII,2: Zur größeren Gewähr und Sicherheit sämtlicher Bestimmungen soll der gegenwärtige Vertrag als ein dauerndes Verfassungsgesetz des Reiches […] vorgeschrieben sein. Zitiert nach: www.pax-westphalica.de/ipmipo [Zugriff vom 7. November 2014; übersetzt von Arno Buschmann] 1. Arbeiten Sie die verfassungsrechtlichen Bestimmungen heraus. Erläutern Sie die Rechte und Befugnisse der Stände. 2. Beurteilen Sie die Bedeutung des Westfälischen Friedens für das Verhältnis der Stände zum Reich. Wie lässt sich das Reich auf dieser Grundlage charakterisieren? M3 Kontroverse Ansichten a) Der preußische Historiker, Publizist und Politiker Heinrich von Treitschke urteilt im ersten Teil seiner 1879 veröffentlichten „Deutschen Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert“ über den Westfälischen Frieden: Die Reichsverfassung erscheint wie ein wohldurchdachtes System, ersonnen, um die gewaltigen Kräfte des waffenfrohesten der Völker künstlich niederzudrücken. In der Tat wurde der unnatürliche Zustand nur durch die Wachsamkeit des gesamten Weltteils aufrechterhalten. Das heilige Reich blieb durch seine Schwäche, wie einst durch seine Stärke, der Mittelpunkt und die Grundlage des europäischen Staatensystems. b) Der Historiker Johannes Burkhardt beurteilt 1998 die Bedeutung des VIII. Artikels für die Verfassung des Heiligen Römischen Reiches: Mit dem Westfälischen Frieden bekamen und gaben sich die Deutschen früher als alle anderen in Europa ihre erste geschriebene Verfassung. Das gilt nicht nur formal, sondern auch inhaltlich. [...] Der berühmte Artikel VIII1 ist der zentrale Verfassungsartikel, der grundsätzliche Aussagen zu den Rechten der Gewalten im Reich – hier der Fürsten als Landesherren und als Reichsstände – und zur Organisation der Reichsinstitutionen – Reichstag, Reichskreise und Reichsgerichtsbarkeit – macht. Das sind typische Verfassungsfragen bis heute. [...] Im Reich muss seit 1648 ein paralleler Staatsausbau auf zwei Verfassungsebenen in Rechnung gestellt werden: auf der territorialen wie der gesamtstaatlichen Ebene. Es ist eine irrige Vorstellung, dass der Ausbau des Fürstenstaates gleichsam nur auf Kosten des Reiches möglich gewesen wäre oder umgekehrt. Es ging nicht um Machtverteilung, sondern um Arbeitsteilung und Kooperation zur Bewältigung der zunehmenden staatlichen Aufgaben. Auf der regionalen Ebene nahmen die Territorien oder ergänzend die Reichskreise selbstständig wichtige Rechtsund Verwaltungsaufgaben wahr und bauten ihre administrativen Systeme aus. Zugleich wurde auf der übergreifenden Ebene die Vertretung der Gesamtbelange nach innen und außen durch Reichsoberhaupt, Reichstag, Reichsgerichtsbarkeit und durch die Reichskreise mit ihrer Scharnierund Exekutivfunktion nun voll institutionalisiert und durchorganisiert. Es besteht kein Anlass, wegen dieser Dualität der Verfassungsebenen an der Staatlichkeit des Reiches zu zweifeln. […] Der Westfälische Friede kodifi zierte2 bis heute wirksame föderalistische Traditionen der deutschen Verfassungsgeschichte. Erster Text: Heinrich von Treitschke, Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Erster Teil bis zum Pariser Frieden, Leipzig 1879, S. 21 (sprachlich modernisiert) Zweiter Text: Johannes Burkhardt, Das größte Friedenswerk der Neuzeit. Der Westfälische Friede in neuer Perspektive, in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 10/1998, S. 592 612, hier S. 597 602 1. Vergleichen Sie die Bewertungen der Reichsverfassungen. Was hebt Treitschke und was Burkhardt hervor? Berücksichtigen Sie dabei M2. H Arbeiten Sie die unterschiedlichen politischen Maßstäbe heraus. 2. Erläutern Sie Burkhardts Vergleich der Strukturen des Reiches und der Bundesrepublik Deutschland. 10 15 20 25 30 1 Vgl. M2. 2 kodifi zieren: nennen, zusammenfassen 5 10 15 20 25 30 35 4677_1_1_2015_398-423_Kap11.indd 416 17.07.15 12:17 Nu r z u Pr üf zw ck en Ei ge nt um d es C .C .B uc h er V er la gs | |
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