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414 Multilateraler Interessenausgleich nach dem Dreißigjährigen Krieg Das Heilige Römische Reich war eine Wahlmonarchie geblieben. Kaiser und Reichsstände blieben aufeinander angewiesen und regierten weiterhin nebeneinander. Den Reichsständen war aber eine größere Souveränität zugestanden worden. Sie ermöglichte ihnen eine eigene Außenpolitik bzw. Kriegsführung. Fast alle diese Bestimmungen wurden nach dem Regensburger Reichstag von 1654 Gegenstand der Reichsverfassung – ein Sachverhalt, der später kontrovers beurteilt wurde (u M2, M3). Die konfessionellen Bestimmungen Der Westfälische Friede regelte auch das Reichskonfessionsrecht neu. Die Bestimmungen des Augsburger Religionsfriedens von 1555 wurden in strittigen Punkten verändert. So waren die Untertanen nicht mehr gezwungen, einen Religionswechsel ihres Herrschers mit zu vollziehen. Bekräftigt wurde aber der zwingende Amtsverzicht für geistliche Fürsten, die zum Protestantismus übertraten. Neben Katholiken und Protestanten wurden die Reformierten, die Anhänger des Genfer Reformators Calvin, den beiden anderen Konfessionen gleichgestellt. Weitere christliche Konfessionsgemeinschaften wurden aber ausdrücklich verboten. Die obersten Reichsinstitutionen wie der Reichstag und das Reichskammergericht sollten fortan paritätisch besetzt werden, wobei Lutheraner und Reformierte als ein Teil gegenüber den Katholiken galten. Für den Besitz der Konfessionen (Kirchen, Klöster, Schulen usw.) wurde – mit zahlreichen Sonderregelungen – 1624 als Normaljahr festgelegt. Auch das war ein Kompromiss, da zunächst alle konfessionellen Veränderungen seit 1618 rückgängig gemacht werden sollten. Alle diese Regelungen trugen langfristig zur Entschärfung der konfessionellen Konfl ikte im Reich bei. In kluger Voraussicht enthielten die Verträge von Münster und Osnabrück eine „Antiprotestklausel“. Damit wurde das Vertragswerk vor schon erhobenen und künftigen Einsprüchen – wie der Verdammung durch den Papst im November 1648 – ge sichert. Endlich Friede Die Freude in der Bevölkerung über den Friedensschluss war riesengroß – verständlich nach dreißig Jahren Krieg und fast fünf Jahren Bangen, ob der Kongress vielleicht doch noch im letzten Moment scheitern würde. Überall läuteten die Glocken, wurden Dankgottesdienste und Prozessionen abgehalten sowie Feste gefeiert. Zwar war der Friede nach dem 24. Oktober 1648 verkündet worden, doch damit waren die fremden Truppenverbände, darunter allein 60 000 Söldner der Schweden, noch nicht aufgelöst. Zu diesem Zweck fand zwischen April 1649 und Juli 1650 in Nürnberg ein „Exekutionstag“ statt, auf dem über die Entwaffnung, den Abzug und die Ausbezahlung der Armeen verhandelt wurde. Auch der Abschluss dieser Verhandlungen wurde festlich begangen. Insgesamt fanden allein im Reich zwischen 1648 und 1650 mindestens 174 Friedensfeste statt – vor allem in konfessionell gemischten süddeutschen Städten. Noch heute erinnert alljährlich am 8. August in Augsburg ein Friedensfest an das Ende des Dreißigjährigen Krieges. Mehr als die Hälfte der Feste galt dem Abzug der Söldner. Zugleich wurde der Friede zum Gegenstand von zahlreichen illustrierten Flugblättern*, Medaillen, Gemälden, literarischen Werken und Kirchenliedern. * Siehe dazu den Methoden-Baustein S. 417 419. i „PAX OPTIMA RERVM“ („Der Friede ist das Beste aller Dinge“). Rückseite einer von dem Münzmeister Engelbert Ketteler aus Münster geprägten Schaumünze (ø 40,4 mm) zum Gedächtnis des Friedens von 1648. Der Spruch „PAX OPTIMA RERVM“ der Umschrift stammt aus einem Werk über den Punischen Krieg des römischen Dichters Silius Italicus, der im 1. Jh. n. Chr. lebte. Die drei Friedenstauben symbolisieren die drei Hauptvertragspartner des Westfälischen Friedens: den römisch-deutschen Kaiser, den König von Frankreich und die Königin von Schweden. Krone und Zepter auf dem Kissen stehen für ihre Landesherrschaft. Johannes Calvin (1509 1564): Genfer Reformator; seine Lehre war die Grundlage für eine reformierte Gottesdienstordnung. Calvins Lehre verbreitete sich in Varianten seit etwa 1550 über ganz Europa; in Frankreich wurden seine Anhänger Hugenotten genannt. 4677_1_1_2015_398-423_Kap11.indd 414 17.07.15 12:17 Nu r z u Pr üf zw ec ke Ei ge nt um d s C .C .B uc hn r V er la gs | |
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