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420 Multilateraler Interessenausgleich nach dem Dreißigjährigen Krieg Grundsätzliche Bedeutung Ein „Universalfriede“ ist 1648 nicht erreicht worden. Frankreich und Spanien setzen ihre Kriegshandlungen noch über zehn Jahre fort. Auch einen „immerwährenden Frieden“ schuf der Westfälische Friede nicht. Es folgten zahllose europäische und weltweite Kriege. Trotzdem: Die Verträge von Münster und Osnabrück schufen eine grundlegende Friedensordnung für das Heilige Römische Reich, die weitreichende Folgen für ganz Europa hatte. Darüber hinaus beeinfl usste der Friede die Diplomatie und das Völkerrecht bis zum Wiener Kongress* und darüber hinaus. Aufnahme und Beurteilung des Friedens im Wandel der Zeit Schon bald nach 1648 setzten sich Geistliche, Historiker, Völkerrechtler und Staatsdenker intensiv mit den Friedensverträgen und ihrem Zustandekommen auseinander. Ihre Bewertungen fi elen durchweg positiv aus. Eine Ausnahme sind die Überlegungen des Völkerrechtlers Samuel von Pufendorf (1632 1694). Er machte in den 1660er-Jahren den Kaiser, die Fürsten und die Geistlichkeit für den unübersichtlichen Zustand des Heiligen Römischen Reiches und die Reichsverfassung verantwortlich (u M1 a). Ganz anders bewerteten der Franzose Abbé de Saint-Pierre (1658 1749) und der aus Genf stammende Schriftsteller und Philosoph Jean-Jacques Rousseau (1712 1778) das Vertragswerk. Sie betonten die geopolitische Bedeutung des Westfälischen Friedens. Auch andere Darstellungen des 18. Jahrhunderts, die bereits auf erste umfangreiche Akteneditionen zurückgreifen konnten, waren sich darin einig: Die Verträge sind das Fundament der Rechtsund Friedensordnung des Reiches (u M1 b). Diesem Urteil schloss sich auch Friedrich Schiller (1759 1805), der 1789 in Jena Professor für Geschichte wurde, in seiner „Geschichte des Dreißigjährigen Krieges“ (1791 1793) an. Die Wertschätzung des Westfälischen Friedens änderte sich mit den Revolutionskriegen nach 1792 und der Nationalisierung Europas. Der erste deutsche Historiker, der den Frieden aus nationaler Sicht scharf verurteilte, war der in Berlin lehrende Professor Friedrich Rühs (1781 1820). Durch die französische Einmischung sei 1648 die Macht des Alten Reiches erniedrigt und zerstört worden (u M2). Diesem Urteil schlossen sich dann nationalistisch gesinnte Historiker wie Heinrich von Treitschke** nach Gründung des Deutschen Kaiserreiches an. Die Nationalsozialisten machten sich dann nach 1939 daran, das „deutsche Unglück“ und „europäische Verhängnis“ von 1648 wieder rückgängig zu machen – wie der NS-Pädagoge und Philosoph Alfred Bäumler (1887 1960) meinte. Nach der Katastrophe des Zweiten Weltkrieges wurden der ausgleichende Charakter und die europäische Dimension des Friedenswerkes wiederentdeckt und neu bewertet (u M3). Das wurde besonders deutlich bei der Eröffnung der Europaratsausstellung „1648 – Krieg und Frieden in Europa“ in Münster und Osnabrück am 24. Oktober 1998, an der der Bundespräsident und zahlreiche europäische Staatsoberhäupter teilnahmen. Dazu fanden in dem Jubiläumsjahr zahlreiche wissenschaftliche Kongresse statt, die unsere Kenntnisse über den Westfälischen Frieden erweiterten. Bewertungen des Westfälischen Friedens Arbeiten Sie die genannten Bewertungskriterien heraus und ordnen Sie diese bestimmten Epochen zu. i „PAX OPTIMA RERVM.“ Vorderund Rückseite einer von Erna Becker-Kahns und H. A. gestalteten Medaille (ø 50 mm). Die Vorderseite zeigt das Rathaus von Münster. Zum lateinischen Spruch auf der Rückseite siehe die Schaumünze von 1648 auf S. 414. p Untersuchen Sie die Abbildungen, nennen Sie Anlass und Umstände der Prägung und interpretieren Sie die Medaille. * Siehe S. 432 ff. ** Siehe S. 416, M3 a. 4677_1_1_2015_398-423_Kap11.indd 420 17.07.15 12:17 Nu zu P rü fzw ec k Ei ge nt um d s C .C .B uc hn r V er la gs | |
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