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472 Internationale Friedensordnung nach dem Ersten Weltkrieg Als die Reparationskommission im Dezember 1922 feststellte, dass Deutschland mit den Lieferungen von Holz und Kohle im Rückstand war, ließ der französische Ministerpräsident Raymond Poincaré am 11. Januar 1923 französische und belgische Soldaten ins Ruhrgebiet einmarschieren. Die Reichsregierung stellte sofort alle Reparationen ein, rief die Bevölkerung zum passiven Widerstand gegen die Besatzungsbehörden auf und unterstützte Unternehmer sowie streikende Beamte und Arbeiter mit Geld. Doch die damit verbundene massive Steigerung von Staatsverschuldung und Infl ation sowie der Druck der Alliierten veran lassten die Reichsregierung zum Abbruch des „Ruhrkampfes“ am 26. September 1923.* Im gleichen Jahr erreichte die deutsche Regierung bei den Siegermächten, dass ihre Zahlungsfähigkeit von neutraler Seite geprüft wurde. Im April 1924 legte ein Sachverständigenrat unter der Leitung des amerikanischen Bankiers Charles Dawes ein Gutachten zur Reparationsfrage vor, den sogenannten Dawes-Plan. Seine Annahme durch die Siegermächte und die deutsche Regierung 1924 auf der Londoner Konferenz bedeutete für das Deutsche Reich eine deutlich geringere jährliche fi nanzielle Belastung. Zunächst musste es eine Milliarde Goldmark jährlich zahlen, ab 1928/29 jährlich 2,5 Milliarden Goldmark. Eine Gesamtsumme und eine zeitliche Begrenzung wurden allerdings nicht festgelegt. Kredite aus den USA erleichterten die Reparationszahlungen. 1930 wurde dann der Young-Plan angenommen, benannt nach dem Vorsitzenden des Sachverständigenrates, dem US-Amerikaner Owen D. Young. Der Plan legte für die deutschen Reparationen eine Gesamtsumme von 112 Milliarden Goldmark fest, deren Restsumme über einen Zeitraum von 59 Jahren zu zahlen war. Die jährlichen Raten wurden erheblich gekürzt. Die Einschränkungen der deutschen Souveränitätsrechte entfi elen mit diesem Plan.** Verständigungspolitik Von 1923 bis 1929 prägte Gustav Stresemann*** als Außenminister in häufi g wechselnden Kabinetten die Beziehungen zum Ausland. Er war bereit, die Bestimmungen des Versailler Vertrages im Westen anzuerkennen, um das Sicherheitsbedürfnis Frankreichs zu befriedigen. Im Gegenzug erhoffte er Zugeständnisse der Alliierten bei der Revision des Vertrages in anderen Punkten. Stresemanns Außenpolitik stand jedoch immer unter dem Druck nationalistischer Kreise, die Erfolge der Revisionspolitik einforderten. Im Oktober 1925 trafen sich auf einer Konferenz im schweizerischen Locarno führende europäische Politiker. Stresemann und sein französischer Amtskollege Aristide Briand hatten großes Interesse an einer Bereinigung des deutsch-französischen Gegensatzes. In den Verträgen von Locarno verpfl ichteten sich Deutschland, Frankreich und Belgien, keinen Krieg gegeneinander zu beginnen, und verzichteten auf eine Veränderung der bestehenden Grenzen zwischen ihren Staaten. Das Rheinland sollte nach dem Ende der Besatzung eine entmilitarisierte Zone bleiben. Bei Verletzung dieser Bestimmungen drohte ein Eingreifen der Garantiemächte Großbritannien und Italien. Eine Revision der Ostgrenzen hingegen ließ Stresemann offen. Deshalb verzichtete er in einem Schiedsvertrag mit Polen lediglich auf eine gewaltsame Änderung der Grenzen. * Vgl. dazu auch S. 478 f. ** Zur Kontroverse um den Young-Plan siehe S. 206. *** Zu Stresemann siehe auch S. 190. i Antifranzösische Propaganda. Schießscheibe (ø 45 cm) mit Karikatur, 1923/24. p Erläutern Sie das Feindbild aus der historischen Situation heraus. i Gustav Stresemann. Zeitgenössisches Foto. Für die Aussöhnung zwischen Frankreich und Deutschland setzten sich Stresemann (siehe S. 190) und Briand (siehe S. 468) leidenschaftlich ein. Wegen ihrer Bemühungen um die Bewahrung des Friedens in Europa erhielten sie 1926 gemeinsam den Friedens nobelpreis. 4677_1_1_2015_452-481_Kap13.indd 472 17.07.15 12:18 Nu r z u Pr üf zw ck en Ei ge nt um d es C .C .B uc hn er V er la gs | |
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