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672.6 Vertiefung: Quantitatives oder qualitatives Wachstum der Wirtschaft? Brauchen wir Wirtschaftswachstum? [...] Um dies zu beurteilen, hilft es, eine etwas altmodische Frage voranzustellen: Was ist eigentlich das Wesen des Wachstums? Die volkswirtschaftliche Wachstumstheorie gibt eine klare Antwort: Jenseits der reinen Zunahme des Einsatzes von Arbeit ist das Wachstum der Wirtschaft letztlich nichts anderes als Wachstum des Wissens. Der Grund liegt auf der Hand: Nur wenn neues Wissen am Markt entsteht, veraltet ein vorhandener Bestand an Kapital und beruflicher Qualifikation. Erst dann sind – jenseits der reinen Ersatzbeschaffung – Investitionen in Maschinen und Menschen lohnend, die bei gegebenem Arbeitseinsatz die Menge, Qualität oder Vielfalt der produzierten Waren und Dienstleistungen und damit die Wertschöpfung erhöhen. In einer Marktwirtschaft entsteht dieses Wissen dezentral, also durch das Zusammenwirken einer riesigen Zahl von Unternehmen, die in ihren Forschungsabteilungen oder auch durch Erfahrung mit Kunden und Produktionsprozessen dazulernen. [...] In diesem Sinn ist es eigentlich völlig unvernünftig, grundsätzlich gegen Wachstum zu sein. Nun schießt die Wachstumskritik ihre Pfeile vor allem auf eine bestimmte Art von Wachstum, nämlich das „quantitative“ Wachstum, also auf jene Nutzung von neuem Wissen, die nur dazu führt, dass immer mehr vom Gleichen produziert wird. Gerade diese Art von Wachstum gehört aber in hoch entwickelten Industrienationen längst der Vergangenheit an. Denn hier besteht der Großteil der Zunahme der Wertschöpfung aus Verbesserungen der Qualität und Vielfalt der Güterwelt bis hin zur Entwicklung ganz neuer Produkte: von der Schreibmaschine zum Personalcomputer und dem iPad, vom Festnetztelefon zu Handy und iPhone, vom Auto mit hohem zum Auto mit niedrigem Kraftstoffverbrauch und vielleicht bald zum leistungsstarken Elektromobil. […] Dass sich dieses qualitative Wachstum sta50 55 60 65 70 75 80 85 90 5 10 15 20 25 30 35 40 45 M29 Deutschland lebt längst in einer Welt des qualitativen Wachstums tistisch als quantitatives darstellt, liegt einzig an der Zweidimensionalität des Zahlenwerks, das wir verwenden. In der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung gibt es eben nur Veränderungen von Mengen und Preisen, so dass eine Verbesserung der Qualität in eine Mengenerhöhung – eben reales Wachstum und nicht Preisinflation – umgerechnet wird. Wir leben also in Deutschland längst in einer Welt des qualitativen Wachstums. […] Die Folgen sind zu besichtigen: Die Qualität der Luft in den Großstädten und des Wassers in den Flüssen hat hierzulande einen langjährigen Höchststand erreicht. Und die Kosten des Vermeidens von Luft und Wasserverunreinigung gehen durchaus in die betriebswirtschaftlichen Kalkulationen der Unternehmen mit ein. Sie sind zu großen Teilen „internalisiert“. Es mag an der ein oder anderen Stelle weiteren Regulierungsbedarf geben, aber die Fortschritte sind enorm und unübersehbar. Der Grund dafür ist einfach. In vielen Industrienationen und allemal in Deutschland hat es einen Wandel der gesellschaftlichen Prioritäten gegeben: Die Menschen messen mit zunehmendem Wohlstand der Umwelt und Natur in ihrer Umgebung einen viel größeren Wert bei als früher. Insofern sind sie auch bereit, dafür mehr zu zahlen – sei es über höhere Preise für materielle Produkte, sei es über höhere Steuern für staatlich finanzierten Umweltschutz, in jedem Fall über ein niedrigeres BIP und damit Einkommen pro Kopf, als es gemessen würde, gäbe es den Umweltschutz nicht. Das Wachstum selbst sorgt für eine zunehmende Präferenz für eine hohe Umweltqualität, und die schafft die nötige Bereitschaft zur Finanzierung von Schutzmaßnahmen, zumindest auf lokaler, regionaler und nationaler Ebene. Die Umwelt erhält also schließlich doch ein angemessenes politisches Preisschild. Karl-Heinz Paqué, Bruttoinlandsprodukt: Das Wesen des Wachstums, www.faz.net, 13.10.2011 Karl-Heinz Paqué, deutscher Volkswirt und Politiker (FDP), erklärt, warum es unvernünftig sei, gegen Wachstum zu sein. (J Klausurtraining, S. 78) Nu r z u Pr üf zw k n Ei ge nt um d es C .C .B uc hn e V er la gs | |
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