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Grundlagen 329 Ein Eindruck, der dadurch gestützt wird, dass sowohl Gerhard Schröder wie Edmund Stoiber erklären, das Leitbild der Nachhaltigkeit stelle die Richtschnur ihrer Politik dar. Heißt das nun, dass Kanzler und Kanzlerkandidat die gleiche Politik betreiben oder dass jede beliebige Politik mit dem Nachhaltigkeitsetikett versehen werden kann? Ist Nachhaltigkeit mehr als eine unverbindliche Formel, die zwar das Augenmerk auf die Notwendigkeiten der langfristigen Sicherung der natürlichen Reproduktionsbedingungen menschlicher Gesellschaften lenkt, aus der sich per se aber noch keine spezifischen Handlungsstrategien ableiten lassen? […] Vielschichtige Debatte Nachhaltigkeit ist so ein in mehrfacher Hinsicht unscharfes, kontrovers interpretiertes Leitbild, hinter dem unterschiedliche Interessen, unterschiedliche Welt und Naturbilder, unterschiedliche Modelle einer guten Gesellschaft stehen. Versucht man, die Struktur der deutschen Debatte über nachhaltige Entwicklung […] zu rekonstruieren, so lassen sich die hier vertretenen Positionen in einem Diskursfeld verorten, das sich entlang von zwei Achsen aufspannen lässt (siehe Abb.). Entlang der vertikalen Achse spannt sich ein Gegensatz auf zwischen den Polen (a) einer an der Funktionsfähigkeit des Markts und (b) einer an den Prinzipien sozialer Gerechtigkeit orientierten Position, die ein neues, sich selbst beschränkendes Wohlstandsmodell oder eine neue Weltwirtschaftsordnung fordert. Sehen Verbandsvertreter der Wirtschaft im Wirtschaftswachstum, in der freien Entfaltung einer globalisierten Marktwirtschaft und der Liberalisierung des Welthandels zumeist die entscheidende Voraussetzung für nachhaltige Entwicklung, so sehen entwicklungspolitische Gruppen darin das genaue Gegenteil. Für Letztere stellen die Herrschaftsstrukturen des globalen Kapitalismus das entscheidende Hemmnis für nachhaltige Entwicklung und den zentralen Motor einer nicht nachhaltigen Entwicklung dar. Die Debatte wird aber noch durch eine andere, horizontale Achse strukturiert, auf der sich „technozentristische“ Positionen polar gegenüberstehen. Während auf der ökozentristischen Seite eine Haltung vertreten wird, die „Respekt vor der Natur“ und statt „gewaltsamer“, technischer Eingriffe eine sanfte „Anpassung an die Kreisläufe der Natur“ fordert, vertreten Gruppen, die dem technozentristischen Pol näher stehen, die Position, dass technische Innovation die entscheidende Bedingung für nachhaltige Entwicklung darstellt. Technische Innovation versus ökologische Modernisierung Für die Entwicklung der deutschen Debatte scheinen bis zum Regierungswechsel 1998 Positionen dominierend, die ihre Schwerpunkte einerseits im linken oberen, andererseits im rechten unteren Quadranten [der Abbildung] haben. Der von der Wirtschaft und der damaligen Bundesregierung favorisierten Deutung Nachhaltigkeit durch „technische Innovation“ steht die vom Wuppertal Institut formulierte, im Spektrum der Umweltbewegung und entwicklungspolitischer Organisationen verankerte Deutung „Nachhaltigkeit durch ein neues Wohlstandsmodell“ entgegen. Die für den rechten oberen Quadranten typische Rahmung „Nachhaltigkeit durch ökologische Modernisierung“ findet in der öffentlichen Debatte zunächst nur eine geringere Resonanz, wird dann, nach dem Regierungswechsel 1998, aber gleichsam offizielle Programmatik der rot-grünen Koalition. In der Praxis liegt der Schwerpunkt der Umsetzung des Leitbilds nachhaltiger Entwicklung ohnehin seit Langem auf dieser Ebene (Erhöhung der Ökoeffizienz, Umweltmanagement, Kreislaufwirtschaft, produktintegrierter Umweltschutz usw.). Seit Ende der 1990er-Jahre findet aufgrund der spektakulären, international koordinierten Proteste der Globalisierungsgegner auch die Rahmung „Nachhaltige Entwicklung durch eine neue Weltwirtschaftsordnung“ eine höhere öffentliche Resonanz. (Karl-Werner Brand: In allen vier Ecken soll Nachhaltigkeit drin stecken, in: Politische Ökologie 76/2002, S. 18 ff.) 35 40 45 50 55 60 65 70 75 80 85 90 95 100 105 Nu r z u Pr üf zw ec ke n Ei ge nt um d es C .C .B uc hn er V er la gs | |
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