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Wie absolut war der Absolutismus? 177 organisation im Innern der monarchisch-absolutistischen Staaten geringfügig. Der Abstand der Möglichkeiten damaliger Administration gegenüber den im „Computerstaat“ zu unheimlicher Perfektion gediehenen Methoden der Erfassung und Reglementierung jedes Einzelnen erscheint gewaltig. Die absolutistische Verwaltung beanspruchte und kontrollierte den Einzelnen weder bis in alle Details der privaten Lebensführung hinein, wie es heutzutage wenigstens versucht wird, noch auch besaß sie den brutalen Willen, geschweige denn die technischen Hilfsmittel dazu. An eine von außen gesteuerte Manipulation der öffentlichen Meinung und Propaganda großen Stils, die über die Menschen moderner totalitärer Staaten niedergeht, war in den absolut regierten Staaten nicht zu denken. Die Versuche des Preußen königs Friedrich, die öffentliche Meinung zugunsten seiner Politik zu beeinfl ussen, wirken verglichen mit den heutigen Methoden der Meinungsbeeinfl ussung eher dilettantisch und unzulänglich. […] Auch für Brandenburg-Preußen gilt, was wir inzwischen als ein weitgehend gesichertes Ergebnis […] bezeichnen dürfen, nämlich dass eine offenkundige Diskrepanz besteht zwischen dem umfassenden autokratischen Anspruch monarchisch-bürokratischer Herrschaft und seiner realen Durchsetzung in den einzelnen Bereichen der staatlich-gesellschaftlichen Wirklichkeit. Wir müssen auch dort von der Fortexistenz des „Nichtabsolutistischen im Absolutismus“ ausgehen. Nirgendwo hat der „Militär-, Wirtschaftsund Verwaltungsstaat", wie er seit dem späteren 17. Jahrhundert entstand und im Laufe des 18. Jahrhunderts dann seine charakteristische Ausprägung fand, sich vollständig durchzusetzen vermocht. Peter Baumgart, Wie absolut war der preußische Absolutismus?, in: Manfred Schlenke (Hrsg.), Preußen. Beiträge zu einer politischen Kultur, Reinbek bei Hamburg 1981 (Preußen. Versuch einer Bilanz, Bd. 2), S. 89 105, hier S. 91 f., 93 und 104 M2 Über die Grenzen der absolutistischen Macht Der Historiker Robert von Friedeburg (siehe S. 157) schreibt dazu: Während Europa im 18. Jahrhundert als Nachrichtenund Wirtschaftsmarkt und als Handlungsraum weiter zusammenwuchs, nahm seine soziale, wirtschaftliche und kulturelle Diversifi zierung1 weiter zu. Prosperierenden Gewerberegionen standen stagnierende Regionen vor allem in Südeuropa zur Seite. Die kirchlichen, adligen, bäuerlichen und teils auch bürgerlichen Verkäufer von Getreide verbuchten steigende Gewinne; bestimmte spezialisierte Handwerker konnten sich in den 1730er-Jahren sogar eine Taschenuhr leisten; reiche Bauern begannen, in den Städten produzierte Trachten als prestigeträchtiges Konsumprodukt zu erwerben; sogar das Gesinde profi tierte in manchen Regionen, der Index der Gesindeeinkünfte stieg beispielsweise in Süddeutschland zwischen 1654 und 1780 kräftig an. Im Zuge der Alphabetisierung wurden selbst von den untersten Bevölkerungsgruppen neben frommer Literatur und Flugschriften in noch größerem Umfang auch komplexe politische Streitschriften und Satiren nicht nur gehört, sondern auch gelesen. Von Württemberg bis Ostfriesland und in England wie in den Niederlanden oder Frankreich gewann das gelesene Wort gegenüber dem gehörten weiter an Boden. Der Ziegelmacher und Sohn eines Fleischers Daniel Defoe und seine literarischen Aktivitäten waren keineswegs ein englischer Sonderfall; in Ostfriesland bekämpften sich Stände und Fürst in den 1730er-Jahren mit Unterschriftenlisten, auf denen die Untertanen ihre Zustimmung oder Ablehnung zu den konträren verfassungsrechtlichen Positionen dokumentieren sollten. Die französische Krone mochte das öffentliche Verlesen monarchiekritischer Schriften weitgehend unterbinden – der massenhafte heimliche Verkauf beißender Satiren fl orierte im ganzen 18. Jahrhundert. In großen Städten wie London und Paris und den ersten touristischen Metropolen wie Venedig breiteten sich Kulturen kirchenferner profaner Geselligkeit weiter aus. Dem stand die Not der Landarmen und Landlosen gegenüber, das wachsende Heer der Heimatlosen und Vaganten2. Aufgeklärte Erziehungsbemühungen der Obrigkeit und tief verwurzelte Glaubensüberzeugungen der Bevölkerung prallten allerorten aufeinander. Robert von Friedeburg, Europa in der Frühen Neuzeit (Neue Fischer Weltgeschichte, Bd. 5), Frankfurt am Main 2012, S. 327 f. 1. Erläutern Sie mithilfe der Skizze die staatlichen Machtinstrumente, die in der Epoche des Absolutismus ausgeweitet wurden. (Sachkompetenz) 2. Erörtern Sie, inwiefern in der Epoche des Absolutismus die Rechte und Freiheiten der Bürger betroffen wurden. (Urteilskompetenz) 3. Nehmen Sie zu den Thesen Baumgarts aus gegenwärtiger Perspektive Stellung (M1). Wie bewertet Baumgart moderne Verhältnisse? (Orientierungskompetenz) 4. Robert von Friedeburg listet sozialgeschichtliche Prozesse in der Zeit des Absolutismus auf (M2). Erörtern Sie, inwiefern hiervon auch die Macht der Fürsten berührt war. (Orientierungskompetenz) 20 25 30 35 40 45 50 5 10 15 20 25 30 35 1 Diversifi zierung: Ausweitung der Produktpalette, Erhöhung der Vielfalt 2 Vaganten: umherziehende Menschen, Landstreicher Nu r z ur P rü fzw ec k Ei ge nt um d es C .C . B uc hn r V er la gs | |
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