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205Umgang mit historischer Fachliteratur symbolik – beides nach französischem Vorbild. Überall wurden durch die so bewirkten Akkulturationsprozesse1 neue soziale Gruppen und Schichten an die Politik herangeführt beziehungsweise zusätzlich politisiert, überall erkämpften sich diese Gruppen unter Rekurs2 auf die Revolution Zugang zum Politischen: die Intellektuellen auf der Apenninenhalbinsel, das mittlere Bürgertum im Alten Reich, die kleinen Leute auf den Britischen Inseln. Überall bildeten sich in Auseinandersetzung mit der Revolution deutlicher als zuvor gegensätzliche politische Lager heraus. So hat die Französische Revolution, wie unterschiedlich sie auch vordergründig auf einzelne Länder einwirkte, letztlich wichtige Impulse zur Herausbildung einer gemein samen, tendenziell demokratischen politischen Kultur Europas gegeben. Rolf E. Reichardt, Das Blut der Freiheit. Französische Revolution und demokratische Kultur, Frankfurt am Main 32002, S. 331 Formale Kennzeichen Alle drei Textauszüge stammen von renommierten Revolutionshistorikern. Albert Soboul (1914 1982) hatte lange Jahre den Lehrstuhl für die Geschichte der Französischen Revolution an der Sorbonne in Paris inne. Sein 1962 erschienenes Werk „Précis d’histoire de la Révolution française“ wurde zum Standardwerk. Der ebenfalls in Paris lehrende François Furet (1927 1997) hat gemeinsam mit Denis Richet 1965/66 das Werk „La Révolution“ verfasst. Das Buch wurde in alle wichtigen Sprachen der Welt übersetzt und gilt inzwischen als „Klassiker der modernen Geschichtsschreibung“. Rolf E. Reichardt (geb. 1940) hat an der Universität Gießen gelehrt und gilt heute als einer der besten deutschen Kenner der Revolutionszeit. Textinhalt Soboul weist der Französischen Revolution eine zentrale Stellung in der modernen Weltgeschichte zu, deren Wirkung bis heute anhält. Für ihn markiert sie den Übergang vom „Feudalismus“ zum Kapitalismus und schuf die Voraussetzungen für einen modernen, bürgerlichen Staat. Sein jüngerer Kollege Furet lehnt die besondere Bedeutung der Revolution für den Übergang von einer aristokratischen zu einer bürgerlichen Gesellschaft ab. Was sie einmalig und bedeutend werden ließ, seien die ersten (positiven und negativen) Erfahrungen mit der Demokratie. Reichardt lehnt sich an Furet an. Er stellt die Revolution vor allem als ein differenziertes kultur und mentalitätsgeschichtliches Ereignis dar. Durch sie seien soziale Schichten politisiert worden, die bislang vom politischen Leben ausgeschlossen waren. Vor allem die neue Publizistik und neue politische Umgangsformen trugen zur Entwicklung einer neuen demokratischen Kultur in ganz Europa bei. Historischer Kontext Soboul steht in der Tradition der sozialistischen Geschichtsschreibung. Er vertritt die marxistische These, wonach die Revolution im Wesentlichen ein Klassenkonfl ikt war und den Übergang von einer feudalen zur kapitalistischen Produktionsweise darstellt. Insofern ist sie für ihn eine „bürgerliche Revolution“. Für Furet ist die Revolution dagegen nicht von diesen Klassenkonfl ikten bestimmt, sondern von mehreren, ineinandergreifenden Prozessen. Wie Furet sieht auch Reichardt den Verlauf der Revolution nicht durch Klassengegensätze festgelegt. Er versteht sie vor allem als ein politisches und kulturelles Ereignis. Intention In den hier zitierten Beiträgen richten sich Soboul und Reichardt an ein breites Publikum, um ihm einen Überblick ihrer Forschungen zum Thema zu liefern. Das Zitat von Furet stammt dagegen aus einem Essay, der sich kritisch mit der Geschichtsschreibung über die Französische Revolution auseinandersetzt. Bewertung Den drei Textauszügen liegen unterschiedliche theoretische Ansätze zugrunde. In ihnen wird zum Teil direkt und indirekt aufeinander Bezug genommen. Die ausgewählten Auszüge lassen die unterschiedlichen Bewertungen der Französischen Revolution ansatzweise deutlich werden. 1 Akkulturation: Übernahme fremder geistiger und materieller Kulturgüter durch Einzelpersonen oder ganze Gruppen 2 Rekurs: Rückgriff auf etwas10 Nu r z ur P rü fzw ck en Ei ge nt um es C .C . B uc hn er V er la gs | |
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