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111 M1 „Im Zentrum der modernen Weltgeschichte“ Albert Soboul fasst das Ergebnis der Französischen Revolution 1973 wie folgt zusammen: Mit der radikalen Zerstörung der gesamten feud alen Hinterlassenschaft, der Befreiung der Bauern von den Herrenrechten, den kirchlichen Zehnten und – eingeschränkt – auch von den kollektiven Zwängen (contraintes communautaires), mit der Aufhebung der Zunftmonopole und der Herstellung des nationalen Marktes beschleunigte die Französische Revolution die Entwicklung des Übergangs vom „Feudalismus“ zum Kapitalismus und bildete zugleich eine ihrer entscheidenden Etappen. Indem sie andererseits die provinziellen Besonderheiten und die lokalen Vorrechte aufhob und die Staatsgewalt des Ancien Régime zerbrach, schuf sie vom Direktorium bis zum Empire die Voraussetzungen eines modernen Staates, der den wirtschaftlichen und sozialen Interessen der Bourgeoisie entsprach. […] Die Französische Revolution steht damit im Zen trum der modernen Weltgeschichte, am Kreuzweg verschiedener gesellschaftlicher und politischer Strömungen, welche die Nationen entzweit haben und noch weiterhin entzweien werden. Ihr Enthusiasmus begeistert die einen, die an die Kämpfe für Freiheit und Unabhängigkeit und an ihren Traum von der brüderlichen Gleichheit denken – bei anderen löst er Hassgefühle aus. Den einen bedeutet ihr aufgeklärter Geist einen Angriff auf Privileg und Tradition – andere sehen darin maßlose Vernunft, die mit ihrer gewaltigen Kraft die ganze Gesell schaft neu ordnen wollte. Die Revolution, ob bewundert oder gefürchtet, lebt weiter im Bewusstsein der Menschen. Albert Soboul, Die große Französische Revolution. Ein Abriss ihrer Geschichte (1789 1799), Frankfurt am Main 51988, S. 571 ff. M2 „Die erste Erfahrung mit der Demokratie“ In einem Essay von 1978 hebt François Furet hervor: Was die Originalität des damaligen Frankreich ausmacht, ist nicht, dass es von einer absoluten Mo narchie zu einem repräsentativen Regime über gegangen ist, oder von der Welt des Adels zur bürgerlichen Gesellschaft: Das übrige Europa ging den gleichen Weg ohne Revolution und ohne Jakobiner, wenn auch die Ereignisse in Frankreich hier und da die Entwicklung beschleunigen und Nachahmer erzeugen konnten. Doch die Französische Revolution ist eben keine Übergangsphase, sondern ein Ursprung, sowie das Trugbild eines Ursprungs. Das Einmalige an ihr macht sie historisch interessant, und übrigens ist gerade dieses „Einma lige“ allgemein geworden: Es ist die erste Erfahrung mit der Demokratie. Am 19. Januar 1989 bemerkt Furet in einem Vortrag: Wenn man am Begriff einer bourgeoisen Revolution festhält, sollte man ihn […] unbestimmt lassen […] und darin bloß die Spitze einer umfassenderen Bewegung sehen, die ein wenig vage als Fortschritt der civilisation beschrieben wird. So betrachtet, lässt sich ein Ensemble von Bedingungen für 1789 ausmachen, darunter ein quantitatives Wachstum der Wirtschaft, Fortschritte in Verkehr und Handel, die Verschönerung der Städte und eine glanzvollere Kunst zu leben, die Modernisierung und Vereinheitlichung des Königreichs durch den Staat – alles Dinge, für die die Menschen des 18. Jahrhunderts einen so ausgeprägten Sinn hatten. Die Französische Revolution war ein Kind des Wachstums und nicht eine Krise der Stagnation. Der Historiker gewinnt jedoch keine größere Klarheit, wenn er die Bourgeoisie zur einzigen Triebkraft der Revolution macht, denn so, wie der historische Prozess verlaufen ist, war sie weder der einzige Akteur noch der einzige Nutznießer der Revolution. Er muss sich deshalb von der Vorstellung freimachen, als gäbe es zur Erklärung von 1789 einen Königsweg, um den sich alle Ursachenverkettungen ordnen und dessen Achse als Hauptakteur der Bewegung der bürger lichen Gesellschaft die Bourgeoisie darstellte. […] Die Französische Revolution war vor allem ein Laboratorium der modernen Politik; sie bietet eine ungewöhnlich komplexe Fülle politischer Materialien sowie eine Vielzahl von intelligenten Akteuren und scharfsinnigen Kommentatoren. Erster Text: François Furet, 1789 – vom Ereignis zum Gegenstand der Geschichtswissenschaft, Frankfurt am Main 1980, S. 96; zweiter Text: Ders., Zur Historiographie der Französischen Revolution heute, München 1989, S. 30 32 5 10 15 20 25 5 10 15 20 25 30 35 32017_1_1_2016_Kap1_082-113.indd 111 04.05.16 10:37 Nu r z u Pr üf zw ec ke n Ei ge nt um d es C .C . B uc hn er V er la gs | |
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