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1231.3 Mauerfall und „Wende“ in der DDR 1989 Eine Bürgerrechtsbewegung entsteht 1985 gründeten Bürgerrechtler in Ost-Berlin – darunter Bärbel Bohley, Ralph Hirsch, Gerd Poppe, Wolfgang Templin, Vera Wollenberger – die „Initiative Frieden und Menschenrechte“ (IFM). Die zunächst stark christlichpazifi stisch ausgerichtete Protestbewegung gewann eine neue Qualität. Erstmals erhoben ostdeutsche Oppositionelle Forderungen nach einer freiheitlichen Demokratie, wie sie die Bürgerrechtsbewegungen in Polen (Solidarnos´c´), Ungarn und der Tschechoslowakei (Charta 77) schon länger vertraten. Die Reformpolitik in der Sowjetunion unter dem neuen Staatsund Parteichef Michail Gorbatschow machte den Oppositionsbewegungen in den kommunistischen Staaten Ostmitteleuropas Mut. Gorbatschow versuchte mit einer Politik der „Offenheit“ (Glasnost) und der „Umgestaltung“ (Perestroika), den Sozialismus zu reformieren und leistungsfähiger zu machen. Als deutlich wurde, dass die Sowjetunion in ihren Vasallenstaaten das kommunistische System nicht mehr mit militärischer Gewalt halten würde, brachen die Dämme: Die herrschenden Parteidiktaturen wurden von Reformkräften abgelöst. Vorreiter dieser Entwicklung waren Polen und Ungarn. In der DDR solidarisierten sich nun immer mehr Menschen mit jenen, die verhaftet, ausgebürgert oder auf andere Weise eingeschüchtert werden sollten. Zu den dauerhaften aktiven Regimegegnern zählten nur wenige hundert Personen, die jedoch viele tausend Sympathisanten gewinnen konnten. Allmählich entstand ein landesweites Netzwerk durch im Untergrund gedruckte Zeitschriften und Flugblätter, Treffen und Protestaktionen. Landesweite Aufmerksamkeit und wachsende Anerkennung in der Bevölkerung erhielten die Bürgerrechtler im Zusammenhang mit den Kommunalwahlen vom 7. Mai 1989. In mehreren Städten der DDR beobachteten Vertreter dieser Gruppen die Auszählung der Stimmen und protestierten anschließend gegen die festgestellten Wahlfälschungen. Flucht vor der Staatsmacht Immer mehr Bürger stellten einen Antrag auf Ausreise aus der DDR, obwohl sie in vielen Fällen deswegen jahrelang benachteiligt und schikaniert wurden. Im ersten Halbjahr 1989 gestattete die Regierung 46 343 Personen die Übersiedlung in die Bundesrepublik. Doch die Hoffnung der SED, auf diese Weise wieder Ruhe herstellen zu können, erfüllte sich nicht. Im Gegenteil: Im Sommer 1989 lagen bereits eine Viertelmillion weiterer Ausreiseanträge vor. Am 10./11. September erlaubte die reformkommunistische Regierung Ungarns, die bereits seit Mai ihre Grenzsperren nach Österreich abbaute, fl uchtwilligen Urlaubern aus der DDR die Ausreise. Über 25 000 Menschen nutzten das neue Schlupfloch im bislang undurchlässigen „Eisernen Vorhang“. Andere fanden Einlass in den diplomatischen Vertretungen der Bundesrepublik in Prag, Warschau und Ost-Berlin. Nach langwierigen Verhandlungen zwischen beiden deutschen Regierungen durften sie Anfang Oktober in den Westen übersiedeln. Unter dem Eindruck der Massenfl ucht aus der DDR entschlossen sich die Bürgerrechtler zur Gründung öffentlich auftretender Oppositionsgruppen. Anfang September 1989 rief das Neue Forum zum freien Dialog im öffentlichen Raum auf – ein unerhörter Vorgang in einer kommunistischen Diktatur (u M6). Später traten weitere Bürgerbewegungen hervor: Demokratie Jetzt, Demokratischer Aufbruch, Sozialdemokratische Partei (SDP), Grüne Partei und andere. Mit unterschiedlicher Akzentuierung forderten sie eine Reform der DDR. Dazu zählten das Recht auf freie Meinungsäußerung, Rechtsstaatlichkeit und Gewaltenteilung, Zulassung weiterer Parteien und Organisationen, Versammlungsfreiheit und Streikrecht, Kontrolle des Sicherheitsapparates. Bärbel Bohley (1945 2010): Malerin, Friedensaktivistin und Politikerin, 1989 Mitbegründerin der Bürgerrechtsorganisation „Neues Forum“ (NF) Charta 77: Petition gegen Menschenrechtsverletzungen, veröffentlicht im Januar 1977; gleichzeitig der Name für die in den 1970erund 80er-Jahren aktive Bürgerrechtsbewegung in der Tschechoslowakei, die zum Zentrum der Opposition gegen das kommunistische Regime wurde Solidarnos´c´: dt. „Solidarität“; Bezeichnung für eine polnische Gewerkschaft, die 1980 entstand und großen Einfl uss auf die politische Wende von 1989 hatte Michail Sergejewitsch Gorbatschow (*1931): letzter sowjetischer Staatsund Parteichef 1985 1991; erhielt 1990 den Friedensnobelpreis Internettipp Zur Oppositionsbewegung in der DDR siehe den Code 32017-10. Internettipp Zu den Demokratiebewegungen im östlichen Europa siehe den Code 32017-09. 32017_1_1_2016_Kap1_114-137.indd 123 04.05.16 10:38 Nu r z u Pr üf z ec ke n Ei ge nt um d es C .C . B uc hn er V er la gs | |
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