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151Vertreibung, Deportation und Zwangsarbeit im Zweiten Weltkrieg Ein Blick auf ihren Anteil an der Gesamtbeschäftigung lässt die enorme wirtschaftliche Bedeutung der ausländischen Zwangsarbeitskräfte für die deutsche Wirtschaft erkennen: Insgesamt stellten die ausländischen Arbeitskräfte im August 1944 etwa ein Viertel der Beschäftigten. In einigen Wirtschaftsabteilungen bzw. Betrieben war ihre Bedeutung besonders hoch. Das galt etwa für die Landwirtschaft, die 1944 einen Anteil ausländischer Zwangsarbeitskräfte von 46 Prozent erreichte, oder für den Bergbau mit 34 Prozent. In manchen Industriebetrieben mit einem hohen Anteil unqualifi zierter Arbeit kamen vier Fünftel aller Beschäftigten aus dem Ausland. Ein Drittel der ausländischen Arbeitskräfte waren Frauen – ein Großteil jünger als 20 Jahre –, insgesamt lag das Durchschnittsalter bei 20 bis 24 Jahren. Selbst Kinder wurden zur Arbeit nach Deutschland transportiert (u M2). Verlauf des „Ausländer-Einsatzes“ Die Beschäftigung ausländischer Arbeitskräfte unter Zwang setzte im Deutschen Reich bereits kurz nach Kriegsbeginn 1939 ein. 300 000 polnische Kriegsgefangene bildeten die erste große Gruppe. Sie wurden vor allem in der deutschen Landwirtschaft beschäftigt. Aufgrund von Rekrutierungen unter der Zivilbevölkerung im besetzten Polen stieg die Zahl der polnischen Arbeiterinnen und Arbeiter im Reich innerhalb etwa eines halben Jahres nach Beginn des Krieges auf eine Million an. In diesem kurzen Zeitabschnitt fand ein Wandel in der „Rekrutierung“ ausländischer Arbeitskräfte statt: Die zunächst favorisierte, aber aus Sicht der Besatzungsbehörden zu wenig erfolgreiche Anwerbung auf freiwilliger Basis wurde von regelrechten Beutezügen auf Arbeitskräfte abgelöst, die dann nach Deutschland deportiert wurden. Damit aber war der Arbeitskräftehunger der expandierenden deutschen Kriegswirtschaft, der zugleich immer mehr Beschäftigte als Soldaten entzogen wurden, nicht gestillt. Eine Million französische Kriegsgefangene kam im Frühjahr und Sommer 1940 hinzu. Anwerbeaktionen und Deportationen in den 1940 eroberten Ländern von Norwegen im Norden bis Frankreich im Süden liefen an. Vor den nächsten Offensiven der deutschen Truppen in Richtung Südostund Osteuropa lag im Frühjahr 1941 die Zahl der zum großen Teil zwangsrekrutierten Ausländer bereits bei drei Millionen. Immer noch dominierten Beschäftigungsverhältnisse in der Landwirtschaft. Die deutsche Arbeitskräftenachfrage war trotz dieser hohen Zahl an ausländischen Beschäftigten noch nicht gedeckt. Mit dem deutschen Überfall auf die UdSSR vom 22. Juni 1941 stieg der Bedarf angesichts der Mobilisierung der Truppenreserven und der Ausweitung der Rüstungsproduktion. Dennoch verbot die nationalsozialistische Führung zunächst ausdrücklich eine Beschäftigung von sowjetischen Kriegsgefangenen oder in den neu eroberten Gebieten rekrutierten Zivilarbeitskräften in der deutschen Kriegswirtschaft aus „rassischen“ und ideologischen Gründen. Die nationalsozialistischen Machthaber gingen davon aus, dass der erwartete schnelle Sieg über die UdSSR in diesem „Weltanschauungsund Vernichtungskrieg“ zudem in kürzester Zeit zu einem Nachlassen der Nachfrage nach Arbeitskräften in der Kriegswirtschaft führen werde. Rassistische Hierarchien Nach der Rassenideologie des Nationalsozialismus bildeten „arische“ Deutsche die Spitze der „rassischen“ Hierarchie. Ihnen folgten die Menschen aus Nordund Westeuropa, auf den untersten Stufen befanden sich Polen, sowjetische Arbeitskräfte, Juden sowie Sinti und Roma. Demnach galt die Bevölkerung der in der UdSSR eroberten Gebiete als minderwertig und gefährlich. Das lässt auch das Schicksal der sowjetischen Kriegsgefangenen deutlich werden: Von den 3,3 Millionen im Jahre Rassenideologie: Der aus der Biologie stammende Begriff „Rasse“ wurde im 19. Jh. auf Menschen angewandt und zur weltanschaulichen Frage. Rassistisches Denken geht davon aus, dass die eigene Rasse einer fremden überlegen ist („Sozialdarwinismus“). Rassismus fand immer dort Anhänger, wo andere Bevölkerungsgruppen unterdrückt und entrechtet wurden, um eigene Machtpositionen zu behaupten und zu erlangen. Lesetipps p Ulrich Herbert, Fremdarbeiter. Politik und Praxis des „Ausländer-Einsatzes“ in der Kriegswirtschaft des Dritten Reiches, Bonn 31999 p Mark Spoerer, Zwangsarbeit unter dem Hakenkreuz. Ausländische Zivilarbeiter, Kriegsgefangene und Häftlinge im Deutschen Reich und im besetzten Europa 1939 1945, Stuttgart/München 2001 32017_1_1_2016_Kap2_138-203.indd 151 04.05.16 10:39 Nu r z u Pr üf zw ec k n Ei ge nt um d es C .C . B u hn er V er la gs | |
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