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73Demokratie und Diktatur in der Zwischenkriegszeit M1 Aus einer Denkschrift von 1918 Roman Dmowski, Führer der polnischen Nationaldemokratischen Partei, versucht, während der Friedenskonferenz in Paris und Versailles als Leiter der polnischen Delegation Forderungen gegenüber den Alliierten durchzusetzen: Das polnische Problem ist vor allem ein territoriales Problem. Gelegen zwischen Deutschland, der größten Nation des Kontinents, die immer die Eroberung und Verschlingung Polens angestrebt hat, und Russland, wo anscheinend die zersetzenden Kräfte die Oberhand gewinnen und das wahrscheinlich nicht imstande sein wird, Polen wirksame Hilfe gegen einen deutschen Angriff zu leisten, muss Polen für sich selbst ein starker, vollkommen unabhängiger Staat sein […]. Es muss eine große schöpferische Demokratie in Osteuropa werden, eine Schanze gegen den deutschen Drang nach Osten, und gleichzeitig muss es sich gegen zersetzende Einfl üsse wehren. Damit Polen diesen Schwierigkeiten gewachsen sein kann […], sind folgende Bedingungen unerlässlich: 1. Es muss ein umfangreiches Gebiet und eine zahlreiche Bevölkerung umfassen; 2. seine Bevölkerung muss hinreichend einheitlich sein, um ihm innere Geschlossenheit zu sichern; 3. seine Grenzen müssen geografi schen Bedingungen entsprechen, damit seine Unabhängigkeit von den Nachbarn gesichert wird […]. Seit Kriegsbeginn suchten die Mittelmächte nach einer solchen Lösung der polnischen Frage, die ihre Interessen am besten sichern würde, und es unterliegt keinem Zweifel, dass sie bis zum endgültigen Friedensschluss alle möglichen Mittel anwenden werden, um einer territorialen Lösung der polnischen Fragen vorzubeugen, die Polen die wirkliche Unabhängigkeit sichern und ihm seine historische Rolle zurückgeben würde, die Rolle eines Schutzwalles gegen das Vordringen der Deutschen nach Osten. Ein solches Problem würde Deutschland mit Erfolg hindern, sich in die russischen Fragen einzumischen. Sein Bestehen würde die Lage der Deutschen an der Ostsee ändern, die sie völlig in Besitz zu nehmen sich bemühen. Es würde ein organisatorischer Mittelpunkt für die kleineren Nationen werden, insbesondere für die Tschechoslowakei und Rumänien, deren Kräfte, verbunden mit den Kräften Polens, in diesem Teil Europas ein mächtiges Bollwerk für die Sache der Freiheit und der Demokratie bilden würden […]. Die Denkschrift fordert die Abtretung von Posen, Westpreußen, eines Teiles von Ostpreußen, von Oberschlesien und eines Teiles von Mittelschlesien. Über Danzig heißt es: Die amtlichen Ziffern über Danzig stellen diese Stadt als eine rein deutsche hin. Indessen zeigen private Forschungen, die von polnischer Seite betrieben worden sind, dass fast die Hälfte der Bevölkerung polnisch ist, wenn auch oberfl ächlich germanisiert […]. Nach: Enno Meyer (Hrsg.), Deutschland und Polen 1914 1970 (Quellenund Arbeitshefte zur Geschichte und Gemeinschaftskunde), Stuttgart 1971, S. 10 f. 1. Geben Sie mit eigenen Worten die Forderungen wieder. 2. Ordnen Sie Dmowskis Position in Ihre bisherigen Kenntnisse zum Thema Nationalismus ein. M2 Das Ergebnis des Versailler Friedens für Polen Der polnische Historiker Wlodzimierz Borodziej schreibt 2010: Nach langwierigen Verhandlungen, in denen die Unterstützung der polnischen Ansprüche nach und nach schmolz, einigte man sich schließlich auf die Übertragung Posens und großer Teile Westpreußens an Polen, auf die Bildung einer Freien Stadt Danzig (die zum polnischen Zollgebiet gehören und einige andere Bindungen mit der Republik eingehen würde) unter Aufsicht des Völkerbundes, schließlich auf die Plebiszite, in Teilen von Ostpreußen und in Oberschlesien. Polen erhielt in Versailles etwas mehr als die Hälfte der ursprünglich geforderten Westgebiete (fast 43 000 km2). Insofern ging Dmowski in seine eigene Falle […]. Er hatte die Hoffnungen auf Wunder geweckt und „nur“ bedeutende Gewinne eingefahren. Polen wurde im Westen wesentlich mehr zugestanden, als Ende 1918 allgemein für vorstellbar gehalten wurde, und das angekündigte Plebiszit in Oberschlesien ließ einen noch größeren Gewinn erwarten. Deutschland war geschwächt und gedemütigt, Ostpreußen räumlich vom Reich abgetrennt, Danzig aus dem Reichsverband ausgegliedert. Ein deutscher Grenzrevisionismus war absehbar. Daher konnten Deutschland und Polen im neuen Europa nur Feinde sein, die künftige Zugehörigkeit Oberschlesiens würde lediglich das Kräfteverhältnis zwischen diesen beiden Gegnern austarieren. Wlodzimierz Borodziej, Geschichte Polens im 20. Jahrhundert, München 2010, S. 109 f. 1. Erläutern Sie, warum viele Polen den Versailler Vertrag als unzureichend ansahen, obwohl das Land erhebliche territoriale Gewinne gemacht hatte. 2. Borodziej vertritt die Meinung, dass Deutschland und Polen nur Feinde sein konnten (siehe Zeile 18 bis 25). Erörtern Sie, ob es vielleicht doch Möglichkeiten der Versöhnung hätte geben können. 5 10 15 20 25 30 35 5 10 15 20 40 Nu zu P üf zw ck en Ei g tu m d es C .C .B uc hn er V er la gs | |
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